Eisenberg. Gemischte Gefühle in der heimischen Wirtschaft, die Menschen drehen den Euro um. Wie sich das Eisenberger Schuhgeschäft dennoch am Markt behauptet.

Ein dickes Fotoalbum genügt, um genüsslich in Erinnerungen zu schwelgen. Kaum zu glauben, dass 130 Jahre darin Platz gefunden haben. Und es soll ja noch weitergehen. 130 Jahre Schuh Helcig kann man getrost als eine Eisenberger Erfolgsgeschichte betrachten, schließt dieser lange Zeitraum doch vier Gesellschaftsordnungen – Kaiserreich, Drittes Reich, DDR und Bundesrepublik – sowie vier Generationen ein. Heute führt Christine Daum, Jahrgang 1969, das Unternehmen am Steinweg. Gemeinsam mit Vater Dieter Jäger lässt sie anlässlich des Geburtstages an Erinnerungen teilhaben.

Firmengründer Friedrich Helcig kam 1885 nach Eisenberg und ließ sich als Schuhmacher nieder. 1894 eröffnete er eine Schuhmacherwerkstatt in der Schlossgasse 7, die 1927 von Sohn Ernst übernommen wurde. Friedrich war Innungsmeister und Beisitzer bei der Handwerkskammer, außerdem in der Feuerwehr aktiv. Bezüglich der Anzahl der Schuhmacher in der Stadt hat Dieter Jäger eine stattliche Zahl recherchiert: „1799 wurden in Eisenberg noch 83 gezählt, zu Friedrichs Zeiten dürften es schon weniger gewesen sein.“

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Während der Kriegszeit wurde das große Ladengeschäft vorübergehend in eine Schuh-Tauschzentrale umfunktioniert, ist der Chronik zu entnehmen. Ebenso, dass Geschäftsinhaber und Kunden auf die Aufwärtsentwicklung des wirtschaftlichen Lebens und damit verbundenen guten Schuhwerks sehnsüchtig warteten. Die guten Schuhe kamen tatsächlich und trugen sogar einen großen Namen: Mercedes.

Spitze Form liegt voll im Trend: Zu diesem Sling-Ballerina gibt es passend Tasche und Tuch. 
Spitze Form liegt voll im Trend: Zu diesem Sling-Ballerina gibt es passend Tasche und Tuch.  © Funke Medien Thüringen | Jana Scheiding

1938 zog Großvater Ernst mit dem Geschäft in den Steinweg. „Genau zum falschen Zeitpunkt, aber das konnte niemand wissen“, sagt Christine Daum. Ihre Großmutter Hedwig führte das Geschäft allein. „Ich habe sie als große resolute Frau in Erinnerung.“ Die Großmutter konnte von der Wohnung aus durch ein kleines Fenster in den Laden schauen. „Immer, wenn viel los war, ließ sie alles stehen und liegen und half.“

Die Namen ihrer Kunden kannte die Großmutter nicht, wohl aber deren Schuhgröße. Daran kann sich Dieter Jäger erinnern. „Wenn ich zum Einkauf fuhr, hatte sie verschiedene mündliche Aufträge für mich. Manchmal rief sie mir noch hinterher: ‚Vergiss das Paar in Größe 53 für Etzdorf nicht!‘ Ich dachte dann, wie soll ich mir das nur alles merken?“, erzählt er und lacht.

Kennerblick liegt in den Genen

Ein bisschen scheint das in den Genen zu liegen. Wenn heute jemand das Schuhgeschäft betritt, „erkenne ich die Schuhgröße fast immer auf Anhieb“, sagt Christine Daum. Sie gehe dann in Gedanken schon die Schuhe durch, die sie dem- oder derjenigen präsentieren könnte. Was liegt aktuell im Trend? „Bei den Farben sind es Naturtöne, aber auch Weiß, Pink und Orange. Oder Kombinationen mit Grün. Bei den Formen ist die Spitze zurückgekehrt, auch Ballerinas werden stark nachgefragt.“

Die Geschäftsgründer Friedrich Helcig und Ehefrau Auguste. 
Die Geschäftsgründer Friedrich Helcig und Ehefrau Auguste.  © privat | Privat

Weil es bei Helcig auch außergewöhnliche Schuhe zu kaufen gibt, beschränkt sich die Klientel nicht auf die Heimatstadt. „Die Menschen kommen aus Leipzig, Droyßig, Zeitz, Jena und Gera“, zählt Christine Daum auf. „Viele Kunden von außerhalb nutzen zum Beispiel die Stadtfeste oder Besuche bei der Verwandtschaft für einen Besuch bei uns.“

Wenn Christine Daum zurückblickt, spielte sich ihr Leben mehrheitlich im Schuhladen ab. Das war auch gar nicht weiter schlimm, die Familie wohnt nur eine Etage darüber. „Meine zwei Tanten holten mich oft aus dem Kindergarten ab.“ Auch ihre Kinder hatten ein Laufställchen im Geschäft und waren auf diese Weise immer mitten im Geschehen. „Aus Schuhkartons bauten sie sich Häuser und ein Puppentheater“, erzählt Daum.

Vor den Schuhen kam das Lehramtsstudium

Anfangs wollte Christine Daum das Geschäft gar nicht übernehmen, sondern eiferte ihrem Vater nach, der Lehrer war. Sie studierte Lehramt für Deutsch und Musik. Nach der Wende fuhr sie mit ihren Eltern oft zur Messe nach Düsseldorf und verliebte sich dort wohl doch ein wenig ins Schuhhandwerk.

Obwohl sie nach der Wende eine von 50 auserwählten Lehrern war, die übernommen werden sollten, kam im letzten Moment eine Absage. Kurz darauf öffnete sich eine andere Tür für die junge Frau. Beim Europäischen Bildungsforum des Schuhhandels absolvierte sie eine zweite Berufsausbildung – diesmal im Einzelhandel. „Die Einrichtung befand sich in Mainz, direkt neben dem ZDF“, erzählt Christine Daum. Sie ließ sich zur Handelsassistentin ausbilden, „das liegt zwischen Kaufmann und Betriebswirt.“

Bei Schuhen besonders auf die Nähte achten

Vier Jahre arbeitete sie im Ruhrgebiet, bis sie den Blick fürs Wesentliche am Schuhwerk entwickelt hatte. „Neben Material und Passform sind die Nähte wichtig, darauf sollte man besonders achten“, verrät die Schuhfachfrau. Dieter Jäger kann seiner Tochter nur beipflichten. „Unsaubere Nähte trennen sich schnell auf“, erklärt er.

Erfahrung und ein Gespür für Menschen trugen über Jahrzehnte zum Bestand des Schuhgeschäftes Helcig bei. Doch es muss auch Menschen geben, die die Schuhe kaufen. „Ihnen wollen wir herzlich Danke sagen“, betont Christine Daum und spricht dabei nicht nur für sich. Sie ist außerdem Vorsitzende der Innenstadt Initiative Eisenberg, deren Slogan lautet: „Kaufe ein in deiner Stadt, damit sie eine Zukunft hat.“