Rudolstadt. Ton- und Filmdokumente lassen die Zeit der Friedlichen Revolution vor 30 Jahren noch einmal lebendig werden

Es war eine schnelllebige Zeit - im Herbst 1989. Es konnte passieren, dass innerhalb eines Friedensgebetes nacheinander die Vorsitzenden der DDR-Blockparteien CDU und NDPD zurücktraten, Margot Honecker ihren Abschied als Bildungsministerin verkündete und Herbert Ziegenhahn als 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Gera sein Amt zur Verfügung stellte. All das frenetisch bejubelt von so vielen Menschen, wie die Stadtkirche St. Andreas selten zuvor und auch selten danach wieder sah.

Während die Partei- und Staatsführung tatenlos zusah, wie jeden Tag Tausende ihre Koffer packten und aus dem Arbeiter- und Bauernstaat flohen, und dabei jedes Vertrauen der Bevölkerung verloren hatte, waren die Kirchen zu einem Ort geworden, an dem man offen reden konnte, wo Veränderungen besprochen und auf den Weg gebracht werden konnten.

Anhand von Ton- und Filmdokumenten, die der damalige Jugenddiakon Karsten Christ aus 25 Stunden Material ausgewählt und aufbereitet hatte, wurde der Herbst der Friedlichen Revolution noch einmal lebendig. Vor knapp 100 Leuten, die diesmal in der eingerüsteten Stadtkirche Platz genommen hatten, zitierte Christ das damalige SED-Politbüromitglied Horst Sindermann, der gesagt haben soll: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete“. Man habe mit gewaltbereitem Mob gerechnet, mit Steinewerfern. „Wie kann man sein Volk nur so falsch einschätzen!“ sagte Karsten Christ.

Deutlich wurde die Rolle von Superintendent Traugott Schmitt, heute Ehrenbürger der Stadt, der immer wieder zu Besonnenheit mahnte, aber angesichts des vorsichtigen Wandels der Funktionäre auch deutlich machte: „Die Schlange, die sich häutet, bleibt eine Schlange“. Gefordert wurden unter anderem die Trennung von Staat und SED, die Auflösung der Kampfgruppen und die Einführung eines Wehreinsatzes. Darüber stand als Kardinalforderung der Verzicht der SED auf den Absolutheitsanspruch.

Im Vergleich zu anderen Städten relativ spät, am Sonnabend, dem 4. November, gab es in Rudolstadt im Anschluss an ein Friedensgebet die erste Demonstration durch die Stadt. Über 1000 Leute trugen ihre Hoffnungen von der Stadt- zur Lutherkirche auf Plakaten durch die Stadt. Eine Woche später, bei der zweiten Demonstration, die schon zwei Tage nach dem Fall der Mauer stattfand, notierte die allgegenwärtige Staatssicherheit im Lagebericht 3500 Demonstranten.

„Wahrscheinlich waren es nicht ganz so viele“, sagte Diethelm Offhauß, seinerzeit Pfarrer in Rudolstadt. Er schätzte, das vier bis fünf Rudolstädter den Wendeherbst aktiv mitgestaltet hatten. „Geschichtliche Veränderungen sind nie von Mehrheiten getragen worden“, so Offhauß.

In weiteren Tondokumenten kamen einige der Redner von vor 30 Jahren zu Wort, darunter der spätere Baudezernent Andreas Steinbrücker, Bernd Zeuner und Günter Horvath. Hartmut Franz, der die Gespräche am Runden Tisch einst moderierte, sprach von der Kraft, die aus der Überwindung der Furcht entstand. Ebenso wichtig seien Liebe und Besonnenheit gewesen, so der 80-Jährige, der nach der Wende für fast zwei Jahrzehnte Bürgermeister seiner Heimatstadt war.