Hamburg. Früher als geplant, müssen sich vor allem ältere Fußball-Profis auf ein Leben ohne ihren Traumberuf vorbereiten. Der Arbeitsmarkt ändert sich für sie, die Stellen werden weniger. Das hat nicht nur etwas mit der Pandemie zu tun.

Corona hat auch den Arbeitsmarkt Profi-Fußball erreicht. Zwar gab es arbeitslose Spieler auch schon in den vor-pandemischen Boom-Jahren der Branche, in denen Bundesliga und 2. Bundesliga jedes Jahr Rekordumsätze meldeten.

Doch durch die Corona-Krise ist die Zahl der Rasenarbeiter, die plötzlich von Jobverlust oder Gehaltsverzicht bedroht werden, enorm gestiegen.

Betroffen sind nicht die großen Stars wie Thomas Müller, Robert Lewandowski und Erling Haaland mit ihren Multi-Millionen-Gagen. Es sind vor allem ihre Berufskollegen aus der 2. Bundesliga, der 3. Liga oder den Regionalligen, die ohnehin für viel weniger Geld spielen und nun mit Arbeitslosigkeit und gegen Existenzängste zu kämpfen haben.

"Was man aus meiner Sicht festhalten kann, ist, dass die Schere weiter auseinandergeht", sagt Gregor Reiter, bis Ende des vergangenen Jahres 13 Jahre lang Geschäftsführer der Deutschen Fußballspieler-Vermittler Vereinigung (DFVV). "Corona tut denjenigen, die ohnehin schon vorher am unteren Ende standen, deutlich mehr weh als denen, die oben stehen."

Dass der Ballspiel-Arbeitsmarkt im Wandel ist, hat Spielerberater Stefan Backs schon lange vor der Pandemie festgestellt: "Corona ist jetzt nur der Beschleuniger." Die Altersgrenze für Spieler sei deutlich abgesunken, sagt der Dortmunder. "Ab 26 wird es kritisch."

Junge Spieler sind vor allem eine Kapitalanlage und eine Wette auf die Zukunft. Vor allem für die Clubs, die "nicht mehr im Geld schwimmen", erklärt Backs. Wo früher noch ein 30-Jähriger genommen wurde, "von dem du weißt, er spielt noch drei, vier Jahre und hilft meiner Mannschaft, nimmst du jetzt den 23-Jährigen, auch wenn er noch nicht ganz so stark ist. Aber den kannst du noch entwickeln und dann verkaufen", beschreibt der Berater von Bayern-Torwart Alexander Nübel das Finanzierungsmodell der Vereine. Das sei der Trend, "der durch Corona noch verstärkt wird."

Backs plädiert im Umgang mit seinen Klienten für Ehrlichkeit angesichts der neuen Ausgangslage. "Im Grunde genommen hast du nur die Möglichkeit der offenen Kommunikation. Du musst sie aufklären, wie sich das jetzt ändert und was das für den Einzelnen bedeutet", sagt der 56-Jährige. "Die Kader werden kleiner, die Plätze fallen weg, die Spieler, die geholt werden, sind immer jünger."

Die meisten verinnerlichten das schon. "Die Fußballer haben sich ja schon geändert im Vergleich zu den 80ern, was die Schulausbildung betrifft", sagt er. "Die verstehen auch, dass es nicht mehr diese Gehälter gibt, die es noch vor zwei Jahren gegeben hätte. Die Vereine in der 2. und 3. Liga haben kaum noch Geld zur Verfügung."

Die Liste der vertraglosen Spieler ist nicht mehr nur eine No-Name-Sammlung. Einige Profis haben Titel gewonnen und Champions League gespielt, viele waren Stammkräfte in der 1. oder 2. Liga. Es werde "viel mehr arbeitslose Fußballspieler geben", prophezeite Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic schon zu Beginn des Wintertransfer-Fensters im Januar.

Bis zum Ende der Periode am 1. Februar war der Transfermarkt dann auch so ruhig wie selten. Viele Vereine der 1. und 2. Liga holten gar keine Spieler, sondern waren bemüht, ihre Kader zu verkleinern. Gerade einmal etwa 50 Millionen Euro gaben die 18 Erstligisten für neues Personal aus, im Winter zuvor - unmittelbar vor Corona-Beginn - waren es circa 200 Millionen Euro.

Anwalt Reiter versteht die Defensivtaktik der Clubs. Durch die Geisterspiele verlieren sie an Umsätzen, Sponsoren überdenken auch wegen ihrer eigenen Lage ihre Engagements. "Ich kann als Verein meine Einnahmen nicht mehr so planen wie vor anderthalb, zwei Jahren", sagte er. "Das führt dazu, dass ich mich wirtschaftlich zurückhalte."

Zu den Gewinnern der Pandemie gehörten "sicherlich viele junge Spieler, die aufgrund ihres geringeren Gehaltsanspruchs und ihres Entwicklungspotenzials eine sportliche Chance erhalten haben", sagt Ulf Baranowsky, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VdV. Leidtragende seien eher ältere Spieler, denen keine neuen Verträge zu den bisherigen Konditionen angeboten wurden. "Viele namhafte Spieler sind gegenwärtig leider immer noch ohne Job." Dazu zählen US-Nationalspieler Fabian Johnson oder Ex-Bayern-Keeper Michael Rensing.

Ohnehin sind Rasen-Arbeitsplätze auch ohne Corona begrenzt. In der Bundesliga, der 2. Bundesliga und der 3. Liga gibt es etwa 1600 Stellen für kickendes Personal. Und deutsche Profis müssen sich einem globalen Konkurrenzkampf stellen. Mehr als 70 Prozent der Spieler in den Startformationen der 1. Bundesliga kommen aus dem Ausland.

Viele Spieler sind nun gezwungen, sich viel früher Gedanken zu machen über ein Leben ohne Fußball. Vorbereitet darauf seien nur wenige, sagt Reiter. "Ich kann gesundheitliche Risiken durch Versicherungen abfedern", erklärt er. Jetzt habe man aber eine Situation, "die uns alle betrifft. Und da sind Sportler genauso wenig vorbereitet wie die Restaurants, die Friseure, die Kinos und die Theater."

Spielergewerkschafter Baranowsky mahnt. "Aus unserer VDV-Bildungstendenzstudie wissen wir, dass fast jeder zweite Profi weder über abrufbare berufliche Qualifikationen verfügt noch dabei ist, solche zu erwerben." Dies könne insbesondere "bei einem plötzlichen Karriereende zum Problem werden."

In dieser Situation nimmt Sportrechtler Reiter die Spielerberater in die Pflicht. Es sei eine Krise, in der ein Profi Beratung brauche, "und nicht jemanden - um es ketzerisch zu formulieren -, der alle paar Jahre auftaucht und zehn Prozent kassiert." Ein mündiger Spieler sei mehr wert als derjenige, "der dich mit großen Rehaugen anschaut und sagt: "Oh, Gott, was machen wir jetzt?"

© dpa-infocom, dpa:210222-99-549615/5