Herzogenaurach. Joshua Kimmich will Anführer sein, fremdelt aber bei der EM noch mit seiner Rolle. In der Mitte oder auf rechts - die Debatten werden in Deutschland nach dem EM-Fehlstart noch heftiger geführt.

Der Mann hat Chef-Ambitionen. Auch wenn Joshua Kimmich in diesen EM-Tagen noch ein bisschen zurückhaltend wirkt. Beim Training im Adi-Dassler-Stadion spielte er sich mit seinem Clubkollegen Leon Goretzka die Bälle zu.

Bei der energischen Ansprache des Bundestrainers legte er die ganze Zeit seinen rechten Arm auf die Schulter von Leroy Sané. Und zum zweiten EM-Gruppenspiel am Samstag (18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Portugal sagte der FC-Bayern-Profi deutlich: "Prinzipiell würde ein Sieg gut tun, den müssen wir auch mal erzwingen. Wir müssen dann auf ein noch höheres Risiko gehen."

Kimmich wohl wieder auf der rechten Seite

Gegen Frankreich durfte Kimmich nicht auf seiner Sahneposition im zentralen Mittelfeld das deutsche Spiel ankurbeln. Und auch gegen Portugal wird er höchstwahrscheinlich wieder rechts am Rand auflaufen. Das ist schon jetzt eine der speziellen Geschichten dieser Europameisterschaft. "Grundsätzlich kann ich auf vielen Positionen spielen, mal sehen, welche es dann wird", sagte Kimmich mit einem Lächeln, sprach dann aber ausgiebig über seine Aufgaben als rechter Mann in einer Fünfer-Kette.

Längst ist der Vergleich mit dem früheren DFB-Kapitän Philipp Lahm gezogen, dessen Pendlerrolle zwischen der Mitte und der rechten Seite vor sieben Jahren in Brasilien entscheidend mit zum WM-Triumph der Nationalmannschaft beigetragen hatte. Später wurde inoffiziell berichtet, dass Joachim Löw seinen Anführer Lahm in einem Gespräch am Pool des DFB-Quartiers "Campo Bahia" die Rückversetzung aus der Zentrale auf die Außenbahn nahegelegt hatte.

Im aktuellen EM-Camp "Home Ground" in Herzogenaurach wird bei der gegenwärtigen Hitze der Pool zwar auch stark frequentiert. Das Gespräch mit Kimmich hat es aber schon vor Turnierstart gegeben. "Der Jo ist vergleichbar mit Philipp Lahm, kann völlig problemlos auf unterschiedlichen Positionen spielen, gleiche Leistung, gleiche Qualität", sagte Löw zum 26 Jahre alten Münchner: "Es macht ja seine Klasse aus, sich sofort auf neue Aufgaben einstellen zu können."

Bei weiterer Gelben Karte Sperre

Gegen Frankreich fremdelte Kimmich jedoch - wie schon bei der blamablem WM 2018 in Russland - mit seiner Rolle als rechter Offensiv-Verteidiger, was auch mit an seinem bärenstarken Gegenspieler und Bayern-Kollegen Lucas Hernández lag. Eine Gelbe Karte bringt zudem nun gegen die Portugiesen die Gefahr mit sich, dass Kimmich bei einer erneuten Verwarnung zum Gruppenabschluss am kommenden Mittwoch gegen Ungarn gesperrt zuschauen müsste.

Zwar äußerte Löw nach dem EM-Start zu Kimmich und dessen Pendant Robin Gosens auf der linken Seite: "Beide Außen sind enorme Wege gegangen, das war schon okay." Doch schloss er auch an: "Sie haben ein paar gute Flanken gebracht, manchmal waren sie zu hoch."

Bei Fans und Experten wird heftig diskutiert, ob Kimmich doch im Zentrum wertvoller sei, zumal er dort seine Chef-Gene besser ausleben könnte. Auf rechts ist sein Einfluss auf die gesamte Statik im deutschen Spiel eingeschränkter, wie Kimmich selbst bestätigte. "Man fühlt sich im Zentrum doch mehr eingebunden, die Wege zu den Mitspielern sind bei der Kommunikation kürzer", sagte er. Auf der rechten Seite fühle man sich manchmal "vermeintlich auftragslos", müsse mehr Geduld mitbringen und sei von den Anspielen abhängig.

"Zeigen, dass wir auch ein Favorit sind"

Offiziell blocken alle Beteiligten die Debatten ab. Ohnehin sind derzeit in dem Leipziger Lukas Klostermann und dem Mönchengladbacher Jonas Hofmann die zwei Spieler nicht einsatzbereit, die Löw als Alternativen für rechts sieht. Für Kimmich ist das Wichtigste: "Wir müssen im nächsten Spiel zeigen, dass wir auch ein Favorit sind."

In seinen türkisfarbenen Fußballschuhen jonglierte Kimmich den Ball auf dem Trainingsrasen immer wieder mit Goretzka, der nach seiner Muskelverletzung auf ein Comeback gegen Portugal hofft. Beim Triple-Triumph des FC Bayern 2020 bewiesen beide, dass sie auf allerhöchstem Niveau das Ideal einer Doppelsechs bilden können.

Gegen Weltmeister Frankreich nahmen Toni Kroos und Ilkay Gündogan diese Rolle ein. Die Stabilität stimmte, aber nach vorne kam zu wenig. "Wir haben es dann verpasst, komplett ins Risiko zu gehen", bemängelte Kimmich nicht nur bezogen auf das Mittelfeld und seine rechte Seite. Das soll und muss sich gegen Portugal ändern.

© dpa-infocom, dpa:210618-99-48651/6