Axel Lukacsek über Traditionen im Sport als Identitätsstifter oder Hemmschuh-

Jan Wouters machte einst gar keinen Hehl aus seinen Ambitionen. „Ich will nicht unbedingt zu einem Club mit Traditionen, sondern mit Geld“, sagte der frühere niederländische Nationalspieler und Ex-Profi des FC Bayern München, als es wieder einmal um die Frage ging, wie ein Wechsel zu einem anderen Verein wohl am besten geplant sein sollte.

Auch Reiner Calmund, früher der umtriebige Manager von Bayer Leverkusen, hat sich längst ganz klar zum Thema positioniert. „Tradition macht keine Lampen an“, sagte der 72-Jährige, als es wieder einmal darum ging, wie denn nun das Engagement von Red Bull beim Fußball-Bundesligisten RB Leipzig zu bewerten sei.

Dass die Kommerzialisierung im Sport längst Einzug gehalten hat, ist inzwischen zur Normalität geworden. Es stellt sich beim Thema Traditionen inzwischen täglich die Frage: Identitätsstifter oder Hemmschuh? Beim Bundesligisten Frisch Auf Göppingen sind dazu gerade heftige Diskussionen geführt worden, die die Handball-Gemeinde gespaltet hat.

Grün-Weiß waren seit Jahrzehnten die Farben, an der der vierfache Europapokalsieger und elfmalige deutsche Meister zu erkennen war. Doch diese Zeiten sind vorbei. Team Viewer, ein börsennotiertes Unternehmen direkt aus Göppingen, hat als Sponsor des Erstligisten durchgesetzt, dass die Handballer plötzlich in blauen Trikots auflaufen. Der Sturm der Entrüstung bei vielen Fans ließ nicht lange auf sich warten. Als wäre Tradition einfach so verhandelbar.

Aber nicht nur das. Es gab auch Befürworter, die jene Änderung pragmatisch sehen und damit die Zukunft ihres Vereins als gesichert betrachten. Immerhin hat sich der Sponsor auf die aufgebrachten Anhänger zubewegt und die Heimtrikots neu gestaltet – mit grünen Seitenstreifen, dominiert von blau. Zuletzt gab es kaum noch Diskussionen, was wohl auch der Tatsache geschuldet ist, dass in Zeiten von Geisterspielen der Kontakt zwischen Klubs, Spielern und Fans verloren gegangen ist. Doch ob der Riss durch die Fanschar einfach so zu kitten ist?

In den Corona-Wirren völlig untergegangen ist dagegen ein anderer Vorschlag aus der Welt des Handballs. Vor der Saison hatte Liga-Chef Frank Bohmann nämlich die Diskussion um eine neue Kleiderordnung angestoßen und ins Gespräch gebracht, dass die Handballer künftig in ärmellosen Tanktops auflaufen. Man wolle sofort klar erkennbar sein, wie es zum Beispiel bei Basketballern oder Eishockeyprofis längst der Fall ist.

Bohmanns Argument für seine Ideen: Die Profis sollten so bei der weiblichen und jüngeren Klientel besser zu identifizieren sein und man wolle damit neue Zielgruppen erreichen. Die Vorschläge stießen jedoch auf Skepsis und versandeten angesichts der Corona-Wirren schließlich. In Zeiten von Geisterspielen müssen die Klubs gerade andere Probleme bewältigen.

Einfach so sich von Altbewährtem trennen, das hinterlässt Spuren. Als im Juli 2015 die Olympischen Winterspiele im Jahre 2022 ins nicht gerade als Wintersport-Hochburg bekannte Peking vergeben wurden, hatte Weltklasse-Biathlet Erik Lesser nur noch einen bissigen Kommentar übrig. „Schön zu sehen, dass die Olympischen Winterspiele wieder an einen traditionsreichen Ort vergeben wurden. Da kann man sich jetzt schon auf die Massen an Fans freuen.“

So verliert man schnell die Lust. Wie Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg. Über ihre Teilnahme in Pyeongchang fällte die Skirennfahrerin ein vernichtendes Urteil. „Das ganze Drumherum, die Zuschauer, die ganzen Volunteers, keiner lebt den Wintersport in diesen Ländern.“ Inzwischen ist die 31-Jährige zurückgetreten.

Dabei weiß man ja eigentlich auch in China, was Traditionen bedeuten. Der Fußball-Zweitligist Sichuan Jiuniu bestrafte vor wenigen Wochen den Trainer mit der Zahlung eines Monatslohns und belegte ihn mit einer einwöchigen Sperre. Li Yi wollte nach einem Saisonfehlstart statt mit den traditionell gelben Jerseys künftig mit ganz anderen Farben auflaufen. Die Klubbosse verstanden keinen Spaß – und verdonnerten ihn zudem dazu, die „glorreiche Klubgeschichte“ zu studieren. So geht Traditionspflege.