Holger Zaumsegel über unerfreuliche Entwicklungen - nicht nur auf dem Fußballplatz.

Wer heutzutage mit offenen Augen durch die Welt geht, der möchte sie am liebsten schnell wieder schließen. Was vor einigen Jahren noch als völlig unsagbar galt, gehört in unserer von Populismus geprägten Zeit bei einigen schon zum guten Ton. In der Anonymität des Internets brennen bei manchen alle Sicherungen durch. Vor allem in den (un)sozialen Netzwerken blöken im wahren Leben ganz normal daherkommende Menschen ihre Parolen raus, dass es einem einfach nur schlecht werden kann.

Eine Entwicklung, die auch vor dem Sport und besonders vor dem Fußball nicht Halt gemacht hat und mittlerweile zu einer ganzen Reihe fragwürdiger Verhaltensweisen geführt hat.

Bestes Beispiel für ein Opfer anonymer Internet-Hetze ist Granit Xhaka. Der Spielmacher aus der Schweiz, der einst in der Bundesliga für Borussia Mönchengladbach den Stollenschuh schnürte, geriet nämlich mit den Fans des FC Arsenal London aneinander. Blöd für Xhaka, dass er selbst ein „Gunner“ ist und sogar zum Kapitän ernannt wurde. Als ein Großteil des Arsenal-Anhangs kürzlich bei Xhakas Auswechslung hämisch Beifall klatschte und ihn einige Ultras übel beleidigten, zog der 27-Jährige sein Trikot aus und giftete zurück – wofür er sich entschuldigte. Unentschuldbar sind aber Äußerungen in den sozialen Netzwerken, in denen Xhakas kleiner Tochter Krebs gewünscht wird. Unmutsbekundungen über die Leistung und Verhaltensweise eines Akteurs des Lieblingsclubs sind das eine. Dem Kind des Spielers eine tödliche Krankheit an den Hals wünschen, ist etwas ganz anderes. Im anonymen Netz sind beide Äußerungen aber nur wenige Tastendrücke voneinander entfernt.

Grundsätzlich sind solche Auswüchse auf das Schärfste zu verurteilen und mitunter sollten sie strafrechtlich verfolgt werden. Schlimmer wird es nur, wenn es nicht bei Hetz-Parolen im Internet bleibt, sondern diese unmissverständlich auch noch in aller Öffentlichkeit geäußert werden – laut und abstoßend. Verständlicherweise suchen Vertreter menschenununwürdiger Meinungen auch in der Öffentlichkeit die Anonymität, vorzugsweise in größeren Menschenansammlungen. In der Masse fühlt man sich stark und sagt auch mal das, was sonst nur hinter vorgehaltener Hand im stillen, heimischen Kämmerlein geäußert wird.

Bedauerlicherweise sind die Fußballstadien dieser Welt immer wieder Beispiel für Hass und Rassismus. Wenn es ums Gewinnen oder Verlieren des Herzensvereins geht, schalten manche das Licht im Oberstübchen aus – und dann wird es duster.

So geschehen neulich erst in der Ukraine. Beim Topspiel zwischen Schachtar Donezk und Dynamo Kiew musste der Schiedsrichter die Begegnung wegen rassistischer Schmähungen unterbrechen. Betroffen waren die Brasilianer Taison und Dentinho. Ersterer wurde endgültig zum Unglücksraben des Abends, weil auch er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Er zeigte den sogenannten Dynamo-„Fans“ erst den Stinkefinger, dann schoss er den Ball in ihre Richtung. Das hatte auch der Referee gesehen, der Taison wegen seines Fehlverhaltens die Rote Karte zeigte. Jener verstand die Welt nicht mehr und verließ unter Tränen den Platz.

Schade, dass der Unparteiische nicht die Sanktion verhängte, die das Uefa-Protokoll ihm für rassistische Gesänge als „Höchststrafe“ zur Hand gegeben hat. Nach einer Stadiondurchsage, einer kurzen Unterbrechung kann er die Begegnung schließlich ganz absagen. Doch davon sah er ab und schickte das Opfer vorzeitig vom Feld.

Bedauerlich – wie andere Beispiele auch. Unsere Generation braucht dringend eine Diskussion über gutes und schlechtes Benehmen, – und das nicht nur auf dem Fußballplatz.