Dirk Pille über Lehmann, Aogo und einen Bürgermeister, die alle lieber den Mund gehalten hätten.

Die Episode liegt nur ein paar Jahre zurück. Auf einem Fußball-Acker in Thüringens Provinz. Der Ort tut nichts zur Sache. Es könnte überall passiert sein.

Ein schwarzer Spieler wird gefoult, er empört sich. Ganz normal. Dann kommt es zu ein paar heftigen Wortwechseln. Das Publikum beteiligt sich. „Was will denn der Neger“, ruft ein ergrauter Herr erbost. Ein Junge neben ihm – vielleicht 14 Jahre alt – meint leise: „Opa, das sagt man nicht mehr.“

Ein anderes Erlebnis ist länger her. DDR-Oberliga, 1970er-Jahre, es brodelt zwischen Rot-Weiß Erfurt und Carl Zeiss Jena. Die Fans werfen sich noch keine Steine, aber heftige Beleidigungen an den Kopf. Und dann – Krieg und Nazis waren immerhin vierzig Jahre her – wird der Gegner verbal in die „Gaskammer“ geschickt. Trotz antifaschistischem Schutzwall und humanistischer Erziehung – diese Gesänge der Fußballanhänger nahm das Stadionpublikum als normal hin. Auch Mauer und Stasi konnten sie nicht verhindern.

Nun, die Zeiten haben sich geändert. Denkweise und Sprache aber noch nicht überall. Was früher an Stammtischen weitgehend privat blieb, ist nun öffentlich. Facebook, Twitter, Telegram – früher auch mal eine SMS. Da rutscht auch Sportlern immer wieder ein völlig verunglückter Spruch raus. Mit Konsequenzen.

Jens Lehmann, Dennis Aogo und Boris Palmer waren die letzten warnenden Beispiele. Der Zettel-Torwart des WM-Sommermärchens kam offenbar auf den falschen Knopf an seinem Telefon und verschickte seine überflüssige Nachricht mit „Quotenschwarzer“ ungewollt direkt an den Betroffenen, der einen nigerianischen Vater hat. Der machte das – zu recht geschockt von der Wortwahl seines Sky-Kollegen – schnell mal öffentlich. Der Shitstorm im Internet folgte, logisch. Lehmann flog bei Hertha aus dem Aufsichtsrat, sein schon zuvor fragwürdiger Ruf war vollends ramponiert. Aogo immerhin klärte mit dem Kollegen den Vorfall unter Männern. Der Ex-HSV-er, früher selbst kein Kind von Traurigkeit, bat alle Online-Menschen, die Sache als erledigt zu betrachten. Doch kurz darauf gebrauchte Aogo in einer Sendung den Ausdruck „Trainieren bis zum Vergasen.“ Schon war der Ex-Profi auch raus bei Sky. Selbst wenn natürlich jeder Zuschauer weiß, wie Aogo das gemeint hatte.

Doch die Sprache hat sich gewandelt. Die Empfindungen der Betroffenen übrigens nicht. Synonyme, die Juden oder Schwarze beleidigen könnten, werden gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert. Ein Fortschritt. Auch im Journalismus hat sich die Zahl militärischer Begriffe stark verringert. Doch ein Kampf bleibt ein Kampf, ein Schuss ein Schuss und Torjäger Gerd Müller eben der Bomber. Robert Lewandowski würde heute allerdings kaum ein Reporter so bezeichnen. Der Weltkrieg ist glücklicherweise lange her.

Doch zurück zu Lehmann und Aogo und vor allem zu Palmer. Der Noch-grüne Bürgermeister von Tübingen interessiert sich zwar gar nicht für Fußball, aber es drängte ihn trotzdem, sozial-medial eine Abhandlung zum Thema zu verfassen. War Lehmanns Quotenschwarzer schon recht schlimm, setzte der Politiker einen drauf. Mit der Entschuldigung, es sei Ironie gewesen, kritisierte Palmer die Empörung Aogos und der meisten normalen Menschen, beleidigte den Ex-Nationalspieler in übler Form und dem N-Wort, welches selbst der kleine Junge auf dem Thüringer Fußballplatz nicht mehr hören will. Wir verzichten hier auf weitere Details aus Palmers geschliffener Gossensprache.

Die Entgleisungen – auch im Sport – nehmen seit der Erfindung der sozialen Netzwerke massiv zu. Doch Schuld ist nicht das Internet, sondern die Leute, die Meinungen aus den tiefsten Abgründen ihrer Seelen posten.

Bezeichnend für die neue Zeit war kürzlich eine bislang unbekannte Art des Protestes. Englische Stars und Spitzenteams erhoben die Stimme gegen Rassismus und Sexismus. Vier Tage ohne Social-Media-News. Schweigen im Netz. Das ist moderner Boykott.

Man muss auch heute nicht alles auf die Goldwaage legen, aber manche Worte sind doch in alten Büchern am besten aufgehoben.