Berlin. Auf Rügen protestieren die Insulaner gegen ein geplantes Flüssiggas-Terminal. Nun gibt es neue Pläne für die beliebte Urlaubsinsel.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist auf Rügen derzeit kein sonderlich gerngesehener Gast. Immer wieder demonstrierten in den vergangenen Wochen die Bewohner der beliebten Urlaubsinsel gegen die Pläne des Grünen-Politikers. Denn vor der für seine Kreidefelsen und sein Biosphärenreservat bekannten Insel sollten schwimmende Flüssiggas-Terminals Deutschlands Energieversorgung für die kommenden Jahre sichern. Lesen Sie auch: Kein Kaffee unter diesem Namen: Das Ende von Café "Habeck’s"

Zwei Plattformen mit Kapazitäten für jeweils zwei Regasifizierungsschiffe waren ursprünglich geplant, um Deutschland auch künftig ohne russisches Gas sicher durch die kalten Monate bringen zu können. Die Rügener aber laufen Sturm gegen das Projekt, sehen den Tourismus als wichtigste Einnahmequelle gefährdet. Und verbuchen nun zumindest einen Teilerfolg.

Statt der ursprünglich geplanten vier Regasifizierungsschiffe soll es künftig nur noch zwei geben. Und sie sollen auch nicht vor Sellin liegen, wo sie von der Seebrücke aus mit bloßem Auge aus für Urlauber sichtbar gewesen wären, sondern im Seehafen Mukran. Auch wird Urlauberinnen und Urlauber in Binz, Göhren oder Sellin wohl künftig der Anblick von Gastankern erspart bleiben, die nach Lubmin pendeln.

Rügen: Insulaner verbuchen Teilerfolg

Denn ein derzeit noch in Lubmin liegendes Regasifizierungsschiff soll den Plänen aus Habecks Haus zufolge nach Mukran verlegt werden. Aktuell liegt die „Neptune“ im Hafen von Lubmin, die als zweites schwimmendes LNG-Terminal überhaupt im Januar in Betrieb gegangen ist. 10 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas sollen so künftig auf Rügen pro Jahr anlanden können – acht Milliarden Kubikmeter weniger als ursprünglich geplant.

Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen.
Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen. © dpa | Stefan Sauer

Einen vollständigen Stopp des Projekts, wie ihn die Insulaner fordern, wird es aber wohl nicht geben – zumindest nicht, wenn es nach Robert Habeck geht. Im Gegenteil. Im vom Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenem „Deutschlandtempo“ soll Mukran für die Anlandung des Flüssiggases ertüchtigt werden, spätestens Ende des Jahres soll das Terminal stehen.

Rügen: Ende das Jahres soll das Flüssiggasterminal stehen

Um das zu ermöglichen, hat das Bundeswirtschaftsministerium das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) überarbeitet und am Montag in die Ressortabstimmung gegeben. Noch vor der Sommerpause soll der Bundestag die Novelle beschließen, sodass im Sommer dann die Bauarbeiten beginnen können.

Denn die Sorgen vor dem nächsten Winter bleiben. Und das, obwohl Deutschland außergewöhnlich gut durch den zurückliegenden Winter gekommen ist. Die befürchtete Gasmangellage ist nicht nur ausgeblieben, die Speicher unterschritten zu keinem Zeitpunkt die 60-Prozent-Marke. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren die Speicher nach dem Winter lediglich zu einem Viertel gefüllt.

Allerdings gibt es keine Garantie, dass der nächste Winter wieder so mild wird, wie es der vergangene gewesen ist. Auch die Einkaufspreise für Gas sind zurückgegangen, im Wirtschaftsministerium befürchtet man, dass Verbraucher und Unternehmen weniger Gas einsparen werden als zuletzt. Und: Spätestens nach der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines ist man besorgt, was die Sicherheit der wichtigen Leitungen von Norwegen in die EU angeht.

Außerdem fließt noch immer Gas aus Russland nach Europa. Jüngst schloss Ungarn gar neue Öl- und Gaslieferverträge mit Russland ab. Immer noch gelangen laut einer Analyse der Brüsseler Denkfabrik Bruegel pro Woche rund 500 Millionen Kubikmeter Gas über die Pipelines Ukraine Transit und Turkstream in die EU. Sollten die Lieferungen ausfallen, wären die anderen EU-Länder im Rahmen des Solidaritätsmechanismus verpflichtet, einzuspringen.

Netzagentur-Chef Müller warnt vor Gasmangellage Anfang 2024

Von Entwarnung kann also keine Rede sein, meint der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, der den Bau weiterer LNG-Terminals für unabdingbar hält. „Unter ungünstigen Bedingungen für Gasverbrauch und -beschaffung aufgrund niedriger Temperaturen sowie einem vollständigen Ausfall der verbleibenden russischen Lieferungen über die Ukraine nach Europa könnte ansonsten Anfang 2024 eine Gasmangellage drohen“, sagte Müller unserer Redaktion.

Es sei sinnvoll, den Ausbau der LNG-Infrasturktur nicht nur auf den Nordwesten Deutschlands zu konzentrieren, sagte Müller. Laut Netzagentur-Berechnungen könnten die beiden Regasifizierungsschiffe für weitere 15 Prozent Puffer bei den Speicherfüllständen für die kommende Heizperiode sorgen, wenn sie zum 1. Januar 2024 den Betrieb aufnehmen.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, will Deutschland vor einer Gasmangellage bewahren.
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, will Deutschland vor einer Gasmangellage bewahren. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Zunächst aber muss die Infrastruktur binnen weniger Monate entstehen. „Die Energiewirtschaft steht bereit, diese Kapazitäten zu bauen“, verspricht Kerstin Andrae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Es sei folgerichtig, dass das bei den bisher errichteten LNG-Terminals vorgelegte Tempo nun auch auf weitere Standorte ausgeweitet werden solle, sagte Andrae unserer Redaktion.

Start-Up soll Betrieb des Terminals auf Rügen gewährleisten

Allerdings müssen dafür noch Zuständigkeiten geklärt und Umbaumaßnahmen vorgenommen werden. Um die Hafeninfrastruktur fit zu machen, kümmert sich das Unternehmen Mukran Port. Den Betrieb der beiden Schiffe soll die Deutsche ReGas gewährleisten – ein Start-Up, das erst vor rund einem Jahr gegründet worden ist.

Überlegungen, dass RWE oder die vom Staat gerettete Uniper in das Geschäft mit den LNG-Terminals auf Rügen einsteigen könnten, sind damit wohl vom Tisch. Damit wird RWE allerdings auch nicht die entsprechenden Anbindungspipelines bauen. Man befinde sich nun in Gesprächen mit dem Fernleitungsnetzbetreiber Gascade, heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium.

Entstehen könnte die Leitung mit den ungenutzten, aber erworbenen Röhren aus der Nord-Stream-2-Pipeline, die nie in Betrieb gegangen ist. Die am Meeresgrund befindlichen Röhren von Nord-Stream-2 selbst sind allerdings nach wie vor in Besitz der Nord Stream AG und daher nicht ohne weiteres nutzbar.