Martin Debes zur neuen SPD-Spitze.

Am 3. Juni dieses Jahres legte Angela Nahles den Vorsitz der SPD nieder. Ein halbes Jahr, 23 Regionalkonferenzen, drei Landtagswahlniederlagen und zwei Mitgliederentscheide später wird nun an diesem Wochenende ein Parteitag zwei neue Parteichefs wählen. Es handelt sich um einen früheren, mäßig erfolgreichen Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen und eine bislang kaum bekannte Bundestagsabgeordnete. In den bundesweiten Umfragen steht die Partei genauso tief wie damals: bei etwa 14 Prozent.

Die Häme, die jetzt über der SPD ausgekübelt wird, mag daher noch so besserwisserisch und gemein sein: Aber sie ist zum Teil selbst verschuldet. Denn die Personalfindung dauerte viel zu lange. Zudem erwies es sich als misslich, dass junge Talente wie Franziska Giffey oder Kevin Kühnert aus unterschiedlichen Gründen auf eine Kandidatur verzichteten.

Vor allem aber hat die Partei in den sechs Monaten nicht aus ihrem Dilemma gefunden, das nur unzureichend mit dem Begriff „Groko“ zusammengefasst werden kann. Sie weiß immer noch nicht, was sie sein will: Eine erodierende Volkspartei der linken Mitte – oder eine linke Reformkraft. Die Mitgliedschaft, das zeigte erneut die Urwahl, erscheint in dieser Frage säuberlich gespalten.

Nun ist dieser Konflikt für die SPD nicht neu, sondern so alt wie die Partei selbst. Aber nun ist mal wieder die Zeit für eine Entscheidung gekommen. Denn egal, wie lange Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans tatsächlich die SPD führen mögen: Sie werden sich zumindest lange genug an der Spitze befinden, um sie aus der babylonischen Gefangenschaft der Union führen zu können.

Allerdings: Um dies zu tun, dürfen sie nicht sofort wieder ihre Glaubwürdigkeit verlieren – was unvermeidlich dann geschähe, wenn jetzt wieder der nächste, in einer Nachtsitzung des Koalitionsausschusses ausgehandelte Kompromiss anstünde. Stattdessen müssen die beiden ihr Mandat nutzen und den Ausstieg aus der Koalition mit CDU und CSU herbeiführen – mit Neuwahlen, am besten noch vor den nächsten Sommerferien.

Dafür spricht längst nicht nur die Lage der SPD. Die Geschichte der Kanzlerschaft von Angela Merkel ist schlicht auserzählt – und die Zeit der sogenannten großen Koalitionen definitiv vorbei. Zweitens nötigte ein Ende der Koalition auch die Union, ihre Kanzlerkandidaten-Frage nicht noch ein lähmendes Jahr vor sich herzuschieben, sondern in den nächsten Monaten zu beantworten. Drittens werden auch alle anderen Beteiligten zu den schwierigen strategischen Entscheidungen gezwungen, die sie bisher vermeiden konnten.

Das betrifft zuallererst die Grünen, die in den Umfragen recht stabil über 20 Prozent stehen. Wollen die den Juniorplatz der SPD unter der wahrscheinlichen Führung der Union einnehmen? Oder kämpfen sie um Platz 1 und einen Politikwechsel mit SPD und Linken? Oder aber versuchen sie es doch wieder mit der überkommenen Sowohl-als-auch-Taktik?

Interessant wird auch zu beobachten sein, wie sich SPD und Linke neu sortieren. Wenn die Sozialdemokraten nach links rücken, könnte es für die Linkspartei eng werden, jedenfalls überall dort, wo nicht ein gewisser Bodo Ramelow regiert, also in 96 Prozent des Bundesgebiets. Auch die alte, von Oskar Lafontaine seit Langem herbeigeträumte Frage, ob es nicht doch in Deutschland eine vereinte Linke geben könnte, dürfte sich wieder drängender stellen.

Ja, es ist richtig, dass die Bundesregierung, zumindest im Vergleich zu ihren Vorgängern, durchaus und messbar gute Fleißarbeit verrichtet. Bei aller berechtigter Kritik und allen Krisenängsten steht die Wirtschaft im internationalen Vergleich immer noch gut da.

Doch das Unbehagen mit der Koalition fußt ja auch nicht so sehr auf ihrer Bilanz, sondern auf einer geradezu grotesken Ungleichzeitigkeit. Während die alte Bundesrepublik des vorigen Jahrhunderts schon längst nicht mehr existiert, werden ihre Strukturen in der Regierung konserviert.

Die Ahnung, dass diese Koalition die großen Herausforderungen nicht bewältigen kann, vom Klimaschutz über die Digitalisierung bis zur Bedrohung der Demokratie, ist inzwischen Gewissheit. Selbst wenn also die neuen SPD-Vorsitzenden bislang nicht überzeugen: Für den dringend nötigen Neustart der deutschen Politik könnten sie die Richtigen sein. Sie müssen jetzt nur das tun, für was sie gewählt wurden: Führen.