In seinem neuen Chefredakteursnewsletter kommentiert Jan Hollitzer am Montag die umstrittene Teilnahme Thomas Kemmerichs (FDP) an einer Demonstration in Gera, gibt einen Ausblick auf den Tag und Lese-Empfehlungen.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
endlich fiel vielerorts in Thüringen der lang ersehnte Regen. Und die Wetterlage soll anhalten. Das sind doch mal gute Nachrichten, obgleich wir uns auch wieder etwas wärmer anziehen müssen. Warm anziehen musste sich gestern schon mal Thomas Kemmerich. Ich kommentiere wieder in gewohnter Art und Weise Themen in einem Rückblick, Ausblick und gebe Empfehlungen.
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Rückblick
Naivität und Instinktlosigkeit
Innerhalb von gut drei Monaten zeigte sich Thomas Kemmerich nun zum zweiten Mal von einer Dynamik überrascht, die er so nicht hatte kommen sehen. Ich meine, man hätte es kommen sehen MÜSSEN. Aber der Reihe nach.
Nach seiner viel kritisierten Wahl zum Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD im Februar hagelte es gestern Kritik für Kemmerichs Auftritt und seine Teilnahme bei einer Demonstration in Gera gegen die Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Mich allerdings überrascht seine Überraschtheit im Nachhinein. Denn nach vielen derartigen Zusammenkünften deutschlandweit müsste jedem klar sein, dass sich dort auch Menschen tummeln, die die gegenwärtige Krise für das Verbreiten von Verschwörungstheorien nutzen. Das war auch in Gera der Fall. Und es war im Vorfeld bekannt. Zahlreiche Gruppen oder auch Parteien mobilisierten auf einschlägigen Kanälen zur Teilnahme.
Mich irritiert Kemmerichs Naivität und Instinktlosigkeit, mit der er sich ohne Not in eine Lage versetzte, für die er sich anschließend entschuldigte. Was mich ebenso irritiert: Er hielt weder Abstandsregeln ein, noch trug er einen Mundschutz. Als Landesvorsitzender einer Partei und generell als Politiker und Person des öffentlichen Lebens ist er sträflich mit seiner Vorbildfunktion umgegangen. Ein Affront gegenüber den Großteil der Deutschen, der sich zum Schutz der eigenen Gesundheit und vor allem der ihrer Mitmenschen an die Empfehlungen von Wissenschaftlern hält. Und mit Oppositonsarbeit lässt sich das Verhalten Kemmerichs nun wahrlich nicht rechtfertigen.
Ja, es muss über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus angesichts existenzbedrohlicher Verordnungen diskutiert werden. Unbedingt sogar, wenn es um das Einschränken von Grundrechten geht. Konstruktiver Streit über Für und Wider. Das aber funktioniert nicht in Basta-Manier und dem demonstrativen Verweigern von Regeln wie ein rebellisches Kind.
Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch immer nicht genügend Fakten über das Virus existieren, obwohl Heerscharen von Wissenschaftlern an der Erforschung von Strategien und Impfstoffen arbeiten, kann es noch nicht die Wahrheit geben, die wir eventuell in ein paar Jahren rückblickend auf die gegenwärtige Zeit bemühen werden. Vielleicht werden die Maßnahmen als überzogen eingeordnet werden. Vielleicht aber auch als moderat und genau richtig. Nicht nur das europäische Ausland wie Frankreich oder Spanien schaut angesichts der Infektions- und Todeszahlen zumindest jetzt schon neidisch auf Deutschland. Und dort gab es etwa mit Ausgangssperren viel härtere Einschränkungen.
Wer jetzt also diese Unsicherheit politisch auszunutzen versucht und vermeintliche Wahrheiten oder eigene Fakten als einzig geltende Diskussionsgrundlage postuliert, gefährdet Menschenleben, schürt die Verunsicherung in der Bevölkerung und spaltet. Wir brauchen noch Geduld. So schwer es auch fällt.
Scheinbar keine Geduld mehr mit seinem Thüringer Parteifreund hat der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Er war es, der im Februar anfangs noch die umstrittene Wahl Kemmerichs verteidigte, sich vor ihn stellte, dann aber fast selbst über den Vorgang stolperte. Jetzt reicht es ihm jedenfalls. Er habe kein Verständnis mehr: "Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz."
FDP-Bundesvorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte sogar Kemmerichs Parteiaustritt.
Ausblick
Neue Hilfsmaßnahmen
Ich empfehle Ihnen heute einen Blick auf die Seite 3 unserer Ausgabe. Dort haben wir detailliert aufgeführt, wer wie viel von den insgesamt 1,2 Milliarden Euro an Landes- und Bundesgeldern im Thüringer Hilfspaket erhält. Hier ein kleiner Vorgeschmack.
Land will doch einheitlich vorgehen
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Aktuelle Coronakarte
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Welch Freude!
Endlich kann man auch wieder den Zoo in Erfurt besuchen. Darüber haben nicht nur wir uns am Wochenende bei einem privaten Ausflug gefreut. Scheinbar genießen es auch die Tiere. Zum Beispiel dieser Präriehund, der wie zum Gruße sein Pfötchen in Richtung Besucher in die Höhe streckte.
Ich wünschen Ihnen einen erfolgreichen Wochenstart!
Ihr Jan Hollitzer
Schreiben Sie mir:
j.hollitzer@thueringer-allgemeine.de
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