Jena. Der scheidende Stadtarchitekt Matthias Lerm berichtet über seine Zeit in der Saalestadt.

Lieder ohne Worte. – Vielsagend legte Stadtarchitekt Matthias Lerm beim Kurzbesuch am Montag in der Redaktion zunächst erst einmal sein Handy auf den Redaktionstisch. – Als sich am vergangenen Freitag die Nachricht verbreitet hatte, dass Lerm zum 1. Mai in Magdeburg die Leitung des Stadtplanungsamtes übernimmt, war er nachmittags für eine Stellungnahme im Amt nicht mehr erreichbar. Und unsere Frage nach einer Mobilnummer wurde uns von seinem Sekretariat so beantwortet: „Dr. Lerm hat kein Handy“ (Zeitung berichtete kurz am Sonnabend).

Ob die Kollegin dem langjährigen Chef des Fachdienstes für Stadtplanung und Stadtentwicklung die Wochenend-Ruhe sichern wollte? Lerm weiß nur, dass seine eigentliche Sekretärin gar nicht im Büro weilte.

Die Handy-Story darf aber als Symbol dafür stehen, dass Matthias Lerm mit beruflicher Ruhe sehr wenig am Hut hat. Im Gegenteil. Deshalb beschwört er es nachgerade auf die Frage nach Gründen für seinen Wechsel nach Magdeburg, dass nicht etwa persönliche Querelen den Ausschlag gegeben hätten. „Ich wollte wirklich noch mal eine Herausforderung.“ Und das habe die im Vergleich zu Jena doppelt so große Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt zu bieten – nicht zu vergessen deren Bewerbung um den Titel als europäische Kulturhauptstadt 2025. Er habe „so viele wunderbare Erfahrungen“ zu bieten gehabt und sich deshalb gesagt: Wirf den Hut in die Bütt! Tatsächlich hätten die Magdeburger auf seine Erfahrungsträgerschaft zu Jenaer Projekten besonders geschaut. Ebenso werde Magdeburg mit seinen bis heute nachwirkenden Weltkriegszerstörungen von seiner Dresden-Expertise profitieren – zumal er sich in seiner Habilitationsschrift mit dem entsprechenden Städte-Wiederaufbau befasst hat.

New Yorker Erfahrung für Jena

Selbstbewusst sagt der 53-Jährige, dass er doch auch in Jena 2007 wegen seiner Erfahrungen eingestellt worden sei – etwa wegen seiner Arbeit als Koordinator des Unesco-Welterbes „Dresdner Elbtal“ oder wegen seines einjährigen Studienaufenthalts in New York. Obendrein habe er viel Jenaer „Stadterfahrung“ zu bieten, weil er in Tautenburg bei Jena aufgewachsen ist und in Jena seine Baufacharbeiter-Ausbildung mit Abitur absolviert hat. „Ich war also schon 20 Jahre hier“, ehe er zum Studium nach Dresden ging. Und ja: „Ich war immer Innovationstreiber.“ Da sei in der Stadtentwicklung so viel auf den Weg gebracht worden, dass auch nach seinem Wechsel gen Magdeburg „etwas übrig bleibt“. Ein Beispiel könnte sein Prinzip sein, Kolleginnen und Kollegen die Hauptverantwortung für solche Projekte zu übertragen, die themenübergreifend sind. „Man muss die Leute mehr ernst nehmen in ihrer Fachlichkeit“, sagt Lerm. Kurzum: Jena sei „sehr weit auf gutem Weg“.

Beim Blick zurück auf seine Jenaer Zeit ist es Matthias Lerm wichtig, nicht nur mit Einzelprojekten in Verbindung gebracht zu werden. Sein Tun sei doch „sehr viel systematischer“ angelegt gewesen. Beispiele dafür seien die Jenaer Klima-Anpassungsstrategie „Jenkas“ und das Stadtbaum-Konzept, welches bundesweit das Etikett „Alleinstellung“ verdiene, weil hier der Klimawandel schon mitgedacht sei. Aber auch mancherlei, was er 2007 vorfand, habe er „mit Wonne weitergeführt“ – unter anderem den Fassadenpreis-Wettbewerb oder die AG Wohnungswirtschaft. Mit Hilfe dieser AG seien vielerlei Vorhaben der „qualifizierten Nachverdichtung“ – der Laie sagt gern: Lückenbebauung – auf den Weg gebracht worden. Das sei ganz im Sinne der vom Stadtrat beschlossenen und auf die Zeit bis 2030 justierten Jenaer Wachstumsstrategie, die sich insbesondere um das Mehr an Wohn- und Gewerbeflächen dreht.

Davon kaum zu trennen: Mit hoher Genugtuung verbucht Matthias Lerm, dass eine Hochhausstudie für Jena erstellt worden ist. – Wo könnte, wo sollte in Jena höher hinaus gebaut werden? Dazu ein kleiner Exkurs zum Eichplatz: Die Bebauungsplanung für das 2014 per Bürger-Votum abgelehnte Projekt habe er noch geerbt gehabt, sagte Lerm. Das sei im Übrigen „gar nicht so schlecht“ gewesen und unter seiner Ägide lediglich „in der Konfiguration noch wohnlicher“ gestaltet worden. Dass aber nun in dem mit viel Bürgerbeteiligung erstellten Rahmenplan für eine ganz andere Eichplatz-Bebauung derart zentral die Hochhaus-Idee eingeflossen ist, sei durch jene Studie überhaupt erst infrage gekommen. Vorher seien Hochhaus-Pendants zum Uni-Turm für die Eichplatz-Planungen auf „brüske Ablehnung“ gestoßen. Nur zu gut versteht man es also, wenn Lerm über das Eichplatz-Projekt sagt: „Jetzt wird‘s vielleicht noch besser.“

Viel „Hochhaus-Reibung“ erlebte Matthias Lerm im Zuge der Bebauungsplanung für das Zwätzener Wohngebiet „Drösel“. Dort sei nach der besten Lösung für das Setzen eines Akzents gesucht worden – eines Hochhauses mit verschiedenen vorgeschlagenen Höhen. Aus seiner Sicht hatte sich dort die „Stimmung für ein mittleres Hochhaus“ abgezeichnet, dann aber doch der Eindruck durchgesetzt, es werde den Anwohnern das Maximale aufgedrückt. Lerm ärgert sich immer noch, dass „das Vorgegebene als gesetzt“ betrachtet wurde. „Wenn man den Pfad des Miteinanders verlässt und sich gegenseitig die Konstruktivität abspricht, entspricht das nicht meiner Haltung.“ Er stehe für die Verwaltung und führe – wie auch im Fall „Drösel – das aus, was im Stadtrat beschlossen wurde. So sei jenes Vorhaben zum „Rohrkrepierer“ geworden und ein fachliches Nachdenken nicht mehr möglich gewesen.

Zwölf Jahre ohne Parkplatz

Lerm privat: Bemerkenswert ist doch, dass Lerm mit seiner in Dresden lebenden Ehefrau die vergangenen gut elf Jahre eine Wochenend-Ehe führen musste. Und nun geht das nur mit Magdeburger Vorzeichen weiter so. Lerm lächelt dazu milde. Ihm sei es eigen, „Selbstausbeutung bis zum Umfallen“ zu betreiben. Und seine Frau habe als Verantwortliche für das Studiendekanat der Medizinischen Fakultät an der TU Dresden ebenfalls einen maximal ausgelasteten Tag. Sollte wohl heißen: Passt schon.

Wenigstens bewegt sich der Mann sehr gesund – nämlich fast ausschließlich mit Fahrrad. „Ich habe es in den zwölf Jenaer Jahren fertig gebracht, keinen Parkplatz zu brauchen.“ In seiner Position sei es wertvoll, „mit persönlichem Eintreten zu zeigen, dass es geht“.