Die Kleingartenanlage Wald ist mit ihren 85 Parzellen eine der größten und mit ihren 93 Jahren eine der ältesten in Pößneck

Pößneck. „Wenn man heutzutage etwas mit Kindern unter­nehmen will, kann man das kaum bezahlen“, sagt Anita Großmann, 41. „Hier haben meine Töchter alles, was sie brauchen, und das für 50 bis 60 Euro im Jahr“, sagt die alleinerziehende Mutter. Ein paar Schritte weiter machen Jill, 7, und Lucinda, 8, Kunststücke in einem Gartenpool, in dem sich schon mal zehn Kinder aus der gesamten Anlage getummelt hätten, während die Dritte im Bunde, Jills Zwillingsschwester Amy, ein paar Gärten weiter bei einer Freundin abhängt. „Hier wird einem nie langweilig“, sagt Anita Großmann einerseits, und wenn man sich die Hochbeete oder den Naschgarten auf ihrer Parzelle anschaut, dann glaubt man ihr gern. Andererseits versichert sie: „Die Ruhe hier ist wirklich wohltuend.“ Tatsächlich hört man außer den glücklichen Kindern und freundlich grüßenden Nachbarn nur Vogelgezwitscher.

Das Idyll ist die Kleingartenanlage Wald, die in Pößneck-Nord fast am Ende der Straße An den Kuhteichen zu finden ist. Mit ihren 85 Gärten ist sie eine der größten, mit ihren 93 Jahren eine der ältesten in der Stadt. Während Anita Großmann mit ihrer fünfjährigen Mitgliedschaft relativ neu ist, steht manche Parzelle seit den 1930ern über Generationen in der Hand ein und derselben Familie, berichtet Karin Bergner, 62, die ehrenamtliche Vorsitzende des Kleingartenvereines. Sie verweist auf Siglinde und Siegfried Grau, die ununterbrochen seit dem 1. Oktober 1959, also seit bald 60 Jahren, Pächter sind. Aber auch darauf, dass aktuell 14 junge Familien mit insgesamt 26 Kindern ihre Freizeit in der Anlage verbringen. Und erst neulich sei eine „deutsch-deutsche Hochzeit“ gefeiert worden. Denn nicht nur Einheimische erholen sich auf dem weitläufigen Grundstück am Waldesrand. Etliche Mitglieder seien auswärts zu Hause, beispielsweise in Kamsdorf, Jena, Nürnberg oder Landsberg am Lech.

Während von Schrebergärten mit 50 Prozent Leerstand zu hören ist, seien in der Kleingartenanlage Wald lediglich fünf Prozent frei. Was ist das Erfolgs­geheimnis? „Die Lage und das Miteinander“, antwortet Karin Bergner. „Außerdem hat bei uns jede Parzelle Wasser und Strom, das gibt es nicht überall.“ Ausreichend Parkplätze und das vergleichsweise geräumige Vereinsheim, das seit 2017 Schritt für Schritt saniert wird, seien weitere Pluspunkte. „Bei uns wird gern mal und gern spontan gefeiert“, kommentiert die Chefin. Und wie oft läuft sie mit dem Zollstock durch die Gärten, um die Einhaltung des berühmt-berüchtigten Bundeskleingartengesetzes zu überprüfen? „Gar nicht“, sagt sie. „Die Leute wissen, worauf es ankommt, was sich gehört, und der Vorstand achtet im Interesse aller Mitglieder mit Augenmaß auf die Einhaltung der Vorschriften.“

Was gehört sich denn in einer Kleingartenanlage? „Dass auf einem Drittel der Parzellen Obst und Gemüse wächst, ein Drittel für Zierpflanzen oder Rasen genutzt wird und nur das letzte Drittel für Laube, Terrasse, Wege in Frage kommt“, antwortet Karin Bergner. Eine historisch gewachsene Besonderheit sei, dass Pößnecker innerhalb der Anlage ein Häuschen als festen Wohnsitz haben, und eine ganz neue Besonderheit, dass ebenfalls innerhalb der Anlage eine Streuobstwiese entsteht.

Der „schwere, lehmige Boden“ mache es den Hobbygärtnern nicht einfach, sagt Karin Bergner. Aber die Tomaten, Gurken und Bohnen, die Erdbeeren, Kirschen und Äpfel, um nur einige der meistangebauten Früchte zu nennen, seien dann „echt bio“. Bei den Zierpflanzen dominieren Rosen und Tulpen. Gibt es irgendwelche Exoten? „Feigen, Melonen, selbst Oliven“, weiß die Vorsitzende. Und wie sieht es mit Gartenzwergen aus? „Es gibt kaum welche, und wer nur auf Gartenzwerge schaut, hat das Wesentliche einer Kleingartenanlage nicht verstanden“, so ­Karin Bergner.

Sie heißt die Pächter nicht nur zur obligatorischen Jahreshauptversammlung, zu regelmäßigen Arbeitseinsätzen oder mit Kind und Kegel an der Feuerschale vor dem Vereinsheim willkommen. Einmal im Jahr nimmt man an der Fahrt des Kleingärtner-Regionalverbandes Orlatal zur Ega in Erfurt teil. Aktuell gibt es gleich zwei Extras im Veranstaltungskalender. So nimmt die Anlage erstmals am Tag der offenen Gärten (Open Gardens) teil, Gäste sind am 14. Juli ab 10 Uhr willkommen. Schon vorher, am 8. Juli, kommt man im Fernsehen groß raus. Gemeinsam mit dem Motorsportclub Pößneck nimmt die Kleingartenanlage Wald an der Aktion MDR-Aktion „Vereins- sommer“ teil. „Wir haben uns da beworben, weil wir Pößneck und unser Hobby bekannter machen wollen“, so Karin Bergner.

Dass die Kleingärtner und Motorsportler in einem Wettbewerb stehen, ist sicher zufällig, vor Jahrzehnten waren sie allerdings Nachbarn. „Eine Zeit lang war unsere Anlage von der Pöß-necker Motocrossstrecke umschlossen“, sagt Karin Bergner, weit in die DDR-Zeiten zurück blickend. „Dann wurde einer der Kuhteiche zum Freibad hergerichtet, später nebenan das heutige Bad am Wald gebaut.“ Dieses sei, als es noch geöffnet war, ebenfalls ein positiver Standortfaktor für die Anlage gewesen.

Karin Bergner hatte die Verantwortung 2017 übernommen. Vor wenigen Wochen wurde sie im Ehrenamt der Vereinsvorsitzenden bestätigt. Die Leitungsarbeit teilt sie sich vor allem mit Matthias Klette und Heinz Winkler. Zählt man die Mitglieder des Beirates dazu, haben insgesamt elf Kleingärtner eine Funktion in der Anlage. „Entgegen dem Trend haben sich bei uns mehr denn je Leute gefunden, die konkrete Aufgaben übernehmen wollten und nun aktiv mitmischen“, sagt die Vereinschefin zufrieden. „Engagement wird bei uns schon immer groß geschrieben. Allein in den letzten 15 Jahren haben 26 Mitglieder größere Auszeichnungen aufgrund ihres Ehrenamtes im Kleingartenwesen erhalten.“

Seit 18 Jahren sind Edda und Hubert Dressler, beide 75, in der Anlage. „Mein Mann war ­damals so dagegen“, sagt sie. Er lächelt milde und stellt seinen Lieblingsplatz vor: „Hier un- term Süßkirschbaum ist die Welt in Ordnung.“ Damit das so bleibt, haben Dresslers eine Ecke ihres Garten nicht gemäht beziehungsweise zur Margeritenwiese werden lassen. „Es fliegen weniger Insekten herum, das merkt man schon“, sagt Hubert Dressler. Die „Öko-Ecke“ sei der persönliche Beitrag der Familie zum Artenschutz.

Das passt zum Anspruch der Kleingärtner vom Wald, die sich ganz im Sinne ihrer Landesverbands-Leitlinien unter anderem „Erholung und Freizeitgestaltung durch aktiven Beitrag zu Natur- und Umweltschutz“ auf die Fahnen geschrieben haben. Wer sich da angesprochen fühlt und einen der wenigen freien Gärten übernehmen will, kann jederzeit per E-Mail an waldgartenpn@gmail.com Kontakt mit dem Vorstand des Vereines aufnehmen.

„Staatlich anerkanntes Naherholungsgebiet“

Erstmals stand die heutige Kleingartenanlage Wald am 27. August 1920 in der Zeitung erwähnt. Damals wurde die Kolonie gerade angelegt, mit etwa 30 Parzellen. Zu DDR-Zeiten, unter dem Dach des Verbandes der Klein­gärtner, Siedler und Kleintierzüchter, wurde die Anlage auf 101 Parzellen erweitert. Nach 1990 wurden schlecht gelegene Flächen aufgegeben und kleinere Gärten zusammengelegt. Mit der aktuellen Zahl von 85 Parzellen kann der Vorstand um die Vorsitzende Karin Bergner gut leben. Die Pächter bewirtschaften im Durchschnitt ­etwa 250 Quadratmeter.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, als die Flieger der Alliierten immer öfter am Himmel über Pößneck auftauchten, war die Anlage „Zufluchts- und Überlebensort zahlreicher Pößnecker“, erzählt Karin Bergner. „So manche Mutter schlief mit ihren Kindern im Garten am Wald, um vor dem Bombenangriffen in der Stadt sicher zu sein.“

Der Kleingartenanlage wurde im Sommer 1983 vom damaligen Pößnecker Bürgermeister Gerhard Reißig der ­Titel „Staatlich anerkanntes Naherholungsgebiet“ verliehen. „Alfred Schuster, der damalige Vorsitzende, hatte gemeinsam mit allen Hobbygärtnern die Anlage zu diesem Erfolg geführt“, berichtet Karin Bergner. „Möglicherweise sind wir die einzige unter den rund 20 Anlagen in Pößneck mit einem solchen Titel.“ Die entsprechende Urkunde gibt es heute noch, sie hängt unübersehbar im Vereinsheim.