München. Weiterer Zeuge belastet Hauptangeklagten. Dieser soll vor der TV-Dokumentation von dem Interview seines Doping-Kunden gewusst haben.

Der österreichische Sportbetrüger Johannes Dürr hat Mark S. im Münchner Doping-Prozess weiter belastet. Der suspendierte Ski-Langläufer räumte am Mittwoch vor Gericht ein, Kunde des Erfurter Arztes gewesen zu sein. Der 33-Jährige hatte mit seinem Interview in einer Fernsehdokumentation Mitte Januar 2019 einen der größten deutschen Dopingskandale losgetreten.

„Die nächste Generation solle nicht wieder ins offene Messer laufen“, erklärt der ehemalige Spitzensportler vor Gericht seine Motivation für das Interview. Er wollte der Jugend die Möglichkeit geben, mit offenen Augen hinzuschauen. Dürr zeigt sich überzeugt, dass Doping zum Spitzensport dazu gehört. Namen habe er damals absichtlich nicht genannt. Er wollte das System offenlegen, wie er sagt.

Ruhig beantwortet der unauffällig wirkende junge Mann die Fragen des Gerichts, von Oberstaatsanwalt Kai Gräber sowie den beiden Gutachtern und der Nebenkläger. Ins Stocken gerät er nur, als Verteidiger Peter Helkenberg wissen möchte, ob frühere Aussagen von Dürr zum Doping und dem österreichischen Ski-Verband falsch gewesen seien. Denn der Ex-Athlet und der Verband hatten sich verständig und Dürr Vorwürfe zurück genommen. Ob seine früheren Aussagen wirklich falsch waren, blieb offen.

„Die Moral steht im Spitzensport hinten an“, stellt der Österreicher vor Gericht klar. „Ich habe für mein Gefühl keinen anderen Athleten betrogen. Mein Gefühl sagte mir, dass ich nichts anderes gemacht habe, als die anderen.“ Mit Blick auf den Hauptangeklagten ergänz er: „Mark S. ist der letzte, den ich dafür verantwortlich mache. Ich habe selber entschieden zu dopen. Mark hat mir dabei geholfen.“

Die Verteidigung des Hauptangeklagten versucht nicht, diese und weitere Aussagen des früheren Ski-Langläufers über mögliche Doping-Praktiken ihres Mandanten in Zweifel zu ziehen. Vielmehr erwecken ihre Fragen erneut den Eindruck, es gehe vor allem darum, die medizinische Professionalität des Erfurter Arztes beim Eigenblutdoping herauszustellen. Diese Strategie prägte bereits die Erklärung von Mark S., die seine Anwälte am Dienstag verlesen hatten.

Er habe es nicht als Geschäft empfunden, erklärt Johannes Dürr zu den Doping-Praktiken von Mark S. „Was man so hört, was es kostet, da war sein Preis von 5000 Euro für mich okay.“ Später gibt der 33-Jährige Summen zwischen 30.000 und 100.000 Euro pro Saison bei anderen Dopingexperten an, kann diese aber nicht belegen.

Johannes Dürr nennt den Hauptangeklagten nur beim Vornamen. Er lobt dessen umsichtiges Vorgehen: Mark habe immer zuerst geschaut, dass die ärztliche Ethik hochgehalten werde. „Es gab nie Pfuscherei.“ Vom Erfurter Arzt habe er Blutdoping erhalten und Wachstumshormone. Letztere aber nur in ganz geringen Mengen genommen.

Die Kontakte zwischen dem Sportler und dem Arzt waren offenbar so eng, dass es 2014 und 2015 sogar Überlegungen gab, die medizinischen Gerätschaften von Mark S. zu übernehmen. Offenbar überlegte damals der Hauptangeklagte, seine Nebentätigkeit im Doping aufzugeben. „Ich habe dann mit dem Mark geredet. Mark sagte, er möchte aussteigen“, schildert der Zeuge vor Gericht.

Hinter der möglichen Übernahme steckte die Sorge, dass die Quelle versiegen könnte. „Sollte das genossenschaftlich geschehen“, fragte die Vorsitzende Richterin Marion Tischler. „Sportler tun sich zusammen und sichern sich noch jemanden mit medizinischen Kenntnissen?“ Soweit sei das noch nicht durchdacht gewesen, räumt der Athlet ein. Der in dieser Zeit an der Beschaffung eines Tiefkühlschranks für Blut mit beteiligt war und auch Geld dafür gegeben hatte.

Bei den Olympischen Winterspielen 2014 wurde Johannes Dürr positiv auf EPO getestet und vor seinem Start zum 50-Kilometer-Rennen gesperrt. Bei seinem Versuch, nach der Sperre erneut an die Weltspitze zu gelangen, vertraute er ab 2018 auch wieder auf Mark S. Dürr betont, dass erst alle anderen Parameter wie Training, Ernährung, Umfeld stimmen müssen, bevor auch Doping zum Erfolg führe. „Erst dann kann Doping den Unterschied ausmachen.“

Den wirklichen Anschluss an die Weltspitze schaffte der inzwischen verurteilte Sportbetrüger nicht mehr. Bei der Ski-WM in Seefeld (Tirol) absolvierte er sein letztes Rennen. Zu diesem Zeitpunkt war sein Interview bereits ausgestrahlt. Er selber bestreitet damals, wieder zu dopen.

Einige Tage nach Ausstrahlung folgte eine erste Zeugenvernehmung durch österreichische Ermittler. Am 27. Februar starten zeitgleich in Österreich und Erfurt Razzien. Auch drei der fünf Erfurter Angeklagten im Münchner Doping-Prozess werden festgenommen. Am 5. März des Vorjahres wird Dürr in Österreich wegen Doping-Verdachts verhaftet.

Er spricht vor Gericht von einem „Scheißgefühl“, als Richterin Tischler wissen will, was die Folgen seines Interwies mit ihm gemacht haben. „Wenn ich geahnt hätte, was alles passiert, ich wäre in meiner Höhle geblieben und hätte den Mund nicht aufgemacht.“

Dürr räumt vor Gericht aber auch ein, vor der Sendung mit Mark S. über sein Fernsehinterview gesprochen zu haben. Einen ersten Kontakt mit dem TV-Team der ARD-Doping-Redaktion habe es im Juni 2018 in Berlin gegeben. Damals wollte der Ski-Sportler ein Buchprojekt promoten. Später seien dann die Interviews für die Dokumentation entstanden, erzählt er.

Auf Nachfrage der Verteidigung wird klar, dass österreichische Ermittler womöglich Kenntnis von Äußerungen Dürrs hatten, die nie gesendet wurden. Das habe er an den Fragen bei seiner Zeugenvernehmung gemerkt, erklärt er. Da sei Wissen vorhanden gewesen, dass nur aus den Gesprächen stammen konnte. Er habe dem Redakteur in vertraulicher Runde Namen genannt, räumt der Sportler ein. Darunter sei auch der eines Thüringer Arztes gewesen. Das war nie zur Weitergabe gedacht.

Die zweite Strafkammer am Landgericht München II verhandelt seit dem 16. Oktober gegen Mark S. und vier weitere Angeklagten wegen des Verdachts, verboten Dopingpraktiken angewendet zu haben. Mit Mark S. und Dirk Q. befinden sich derzeit noch zwei der Angeklagten in Untersuchungshaft. Inzwischen haben vier der fünf Angeklagten ausgesagt.

Die Staatsanwaltschaft geht von bis zu zehn Jahren Haft für den Arzt bei einer Verurteilung aus. Das Gericht stellte bei einem Vorgespräch nach Angaben von Richterin Tischler vier bis sechs Jahre Haft in Aussicht, sollte Mark S. umfassend aussagen und ein Berufsverbot erhalten. Die am Dienstag abgegebene Erklärung seiner Anwälte reicht nach Angaben des Gerichts dafür noch nicht aus.

Der Prozess ist vorerst mit insgesamt 26 Verhandlungstagen bis 21. Dezember geplant. Problematisch könnte die Ladung mehrerer Zeugen werden, weil viele der Sportler aus dem Ausland sind. Bereits für den Mittwoch hatten zwei Zeugen abgesagt und ihr Fernbleiben mit der Corona-Situation in München begründet. Bei Zeugen beispielsweise aus Österreich hat das Gericht keine Möglichkeit, ihr Erscheinen zu erzwingen.

Online-Anriss:

Der österreichische Ski-Langläufer Johannes Dürr hat Blutdoping beim Erfurter Arzt Mark S. eingeräumt. Dürr, der inzwischen wegen Dopings lebenslang gesperrt ist und im Januar von einem Gericht in Innsbruck (Tirol) verurteilt wurde, sagte am Mittwoch im Münchner Doping-Prozess gegen Mark S. aus. Der 33-Jährige hatte mit seinem Interview in einer Fernsehdokumentation Mitte Januar 2019 einen der größten deutschen Dopingskandale losgetreten.

Prozess um Doping: Zeugenaussage von Johannes Dürr erwartet

Angeklagter Mark S.: Doping "aus Liebe zum Sport"