Wenn Quarantäne und Revolution auf musikalisches Ausufern treffen. Christian Werner über das Album „Sandinista!“ von The Clash.

Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, ein Doppelalbum zu hören? Ach was, eines geht noch: Legen wir gleich ein Dreifachalbum auf. Immerhin geht es mit diesem Supersaurus des Vinyl-Zeitalters um eine seltene und inzwischen vom Aussterben bedrohte Spezies der Pop-Welt.

Einige Leser respektive Hörer müssen jetzt tapfer sein, denn die Wahl fällt nicht auf einen der üblichen Verdächtigen, wie das Live-Album vom Woodstock-Festival oder „All Things must pass“ von George Harrison. Wir gehen, um es mit Sigmar Gabriel zu sagen, „dahin, wo es anstrengend ist“. Aus den Boxen tönt heute (Trommelwirbel): „Sandinista!“ von The Clash.

Immerhin 36 Songs und rund zweieinhalb Stunden bringt das Schwergewicht auf den Plattenteller. Nicht nur für die Aufmerksamkeitskurve eines popmusikaffinen Durchschnittshörers mit Internetsozialisierung dürfte das eine Belastungsprobe darstellen.

Es stellt sich die Qualitätsfrage

Bereits der Vorgänger „London Calling“ schlug als Doppelalbum über die Stränge. Und wie mit (fast) jeder Platte in Überlänge stellt sich mehr noch bei einer Dreifach-LP die Qualitätsfrage. Kritiker und Fans sind sich bis heute uneins, wie viele Füller die Songliste zählt.

Das Cover des Albums „Sandinista!“ von The Clash.
Das Cover des Albums „Sandinista!“ von The Clash. © Sony Music

Sicher, Stücke wie „Hitsville U.K.“ oder „Ivan meets G.I. Joe“ brauchen durchaus einige Durchgänge, um sie sich schön zu hören. Aber: Was wir im Rückblick erleben, ist eine Band auf dem Zenit ihrer Experimentierfreude und Weiterentwicklung. Reggae und Dub werden zu Standardeinflüssen, am Walzer probiert sie sich ebenso. The Clash hatte sich 1980 zur Veröffentlichung des Albums längst vom Punk-Purismus gelöst. Das Ergebnis: ein Kosmos an Stilen und Spielfreude auf sechs Plattenseiten, die im Titel der Revolution in Nicaragua Ende der siebziger Jahre huldigt.

Von dem Konzept überzeugt war damals auch ein geschätzter Kollege. Noch heute hält er sein Exemplar in Ehren. Was am Inhalt sowie daran liegt, wie er an die Platte(n) kam.

Am schwarzen Brett der TU Dresden, Sektion Elektrotechnik, boten in den Achtzigern Gaststudenten befreundeter Bruderländer der DDR musikalische Leckerbissen aus dem kapitalistischen Ausland an. Auch „Sandinista!“ stand auf der Liste. Für den unglaublichen Preis von 450 Ostmark – damals ein kleines Vermögen.

Ein Stapel Vinyl voll Glückseligkeit, aber so gut wie unerreichbar. Vor allem, wenn das Stipendium nur 120 Ostmark zum Leben ließ. Irgendwie hat der Kollege unter Entbehrungen das Geld aufgetrieben. Und die Investition nie bereut.

Reinhören!

Wir haben die Playlist zum Krisen-Modus. Hören Sie unsere Auswahl an Songs für die Heimarbeit, zur Kurzweil oder für andere Ablenkungen in Selbstquarantäne. Die Titel werden mit jeder neuen Folge unserer Kolumne erweitert. Und hier erfahren Sie, warum die Songs ausgewählt wurden.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung