Stuttgart/München (dpa/tmn). Bei Reifen schreibt der Gesetzgeber eine Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimetern vor. Doch viele Autofahrer tauschen ihre Reifen vorher. Bis zu welcher Grenze können Reifen gefahren werden?

Spätestens bei Schnee, Schneematsch oder starkem Regen merken Autofahrer, wie gut oder schlecht ihre Reifen sind. Wenn die Haftung zur Straße abnimmt, die Warnleuchte der Traktionskontrolle oder des ESP aufblinkt und der Reifen an seine Grenzen kommt, ist vielleicht die Profiltiefe zu gering.

Paul Englert, Redakteur Fahrzeug- und Reifentest bei der Zeitschrift „Auto, Motor und Sport“ empfiehlt: Reifen nicht bis zur gesetzlichen Mindestprofiltiefe von 1,6 Millimeter fahren, sondern früher wechseln. Sommerreifen bei drei und Winterreifen bei vier Millimetern.

Schlechter Grip bei geringem Profil

„Vor allem bei Winterreifen ist das Profil entscheidend“, sagt er. „Feine lange Lamellen von neuen Reifen verzahnen sich gut mit Schnee und Schneematsch. Damit sorgen sie für ausreichend Grip. Sind die Lamellen kürzer und weniger flexibel, verzahnen sie sich schlechter mit dem Untergrund.“

Weniger Profil bedeutet auch eine schlechtere Drainage, also dass Wasser schlechter ablaufen kann. Trotz zusätzlicher Kerben im unteren Profil weist ein Winterreifen weniger Lamellen auf und hat damit unter bestimmten Umständen weniger Grip. Ist viel Wasser auf der Straße, schwimmt der Reifen früher auf, es droht der Kontrollverlust über das Auto. Lenk- und Bremskräfte werden nicht mehr optimal übertragen.

Auch Constantin Hack vom ACE Auto Club Europa rät dazu, die Reifen frühzeitig zu wechseln und nicht bis zur Mindestprofiltiefe herunterzufahren – auch wenn es erlaubt ist. „Grip- und Bremswerte verschlechtern sich bei abnehmendem Profil. Vor allem bei Aquaplaning kommt es auf ausreichende Profiltiefe an“, sagt er. „Abgefahrene Reifen spüren Autofahrer, wenn die Regelsysteme wie ASR oder ESP früh eingreifen.“

Profil ist bei extremer Witterung wichtig

„Allein aus Sicherheitsgründen sollten Autofahrer daher immer auf ausreichend Profil ihrer Reifen achten“, sagt Redakteur Paul Englert. Der ADAC hat bei einem Reifentest mit abgefahrenen Reifen-Sätzen mit einer Profiltiefe von 2,5 und 2 Millimetern festgestellt, dass diese Reifen weniger Längs- und Querkräfte miteinander kombinieren können.

„Bei Kurvenfahrt auf nasser Fahrbahn nimmt die Leistung der meisten Reifen mit einem Profil von 2,5 Millimeter um rund 70 Prozent ab“, sagt Ruprecht Müller vom ADAC-Technikzentrum in Landsberg am Lech. Auch deshalb bleibt der ADAC bei seiner Grenze von drei Millimetern bei Sommerreifen und vier bei Winterreifen. „Wenn die Reifen in diesem Bereich liegen, sollten Autofahrer über einen Wechsel nachdenken.“

Vor allem solche Autofahrer, die auf ihr Fahrzeug angewiesen sind und auch bei extremen Witterungsverhältnissen unterwegs sein müssen. „Im Sommer bei bestem Wetter reichen die gesetzlich vorgeschriebenen 1,6 Millimeter. Bei einem starken Regen mit Aquaplaning aber wieder nicht mehr“, sagt der ADAC-Experte.

Einfach mit der Euromünze testen

Und was ist mit der Nachhaltigkeit? Es gibt Reifenhersteller, die dafür werben, dass sich ihre Produkte bis zum Erreichen der Mindestprofiltiefe optimale Leistungen erbringen. Den nachhaltigen Ansatz findet Ruprecht Müller aus ökologischen Gesichtspunkten gut. Doch Sicherheit geht für ihn vor: „Bei Aquaplaning bieten Reifen mit weniger Profil ein höheres Sicherheitsrisiko. Wer in jeder Fahrsituationen genügend Reserven bei den Reifen haben möchte, sollte auf ausreichend Profil achten.“

Daher rät er, regelmäßig die gesamte Lauffläche des Reifens zu prüfen, vor allem die Innenseite. Diese fährt sich häufig stärker ab als die Außenseite. Mit einer 1-Euro-Münze lässt sich das einfach kontrollieren. Ragt der goldene Rand der Münze aus dem Profil heraus, sind es weniger als drei Millimeter – Zeit für einen Wechsel.

Für Autos, die bei extremen Witterungsverhältnissen stehen gelassen werden können, eignen sich auch Ganzjahresreifen. Sie ähneln laut Müller mehrheitlich den Winterreifen: „Sie sind für hohe Temperaturen im Sommer nicht oder nur bedingt geeignet, was sich bei forcierter Kurvenfahrt, schnellem Spurwechsel und vor allem Vollbremsungen bemerkbar macht.“ Für Fahrzeuge, die unter allen Witterungsbedingungen sicher fahren sollen, empfiehlt der ADAC daher den zeitigen Wechsel auf saisonale Reifen.

Neue Reifen nach spätestens acht Jahren

Und selbst wenn noch ausreichend Profil vorhanden ist: „Spätestens nach acht Jahren sollten Reifen gewechselt werden, weil sie mit der Zeit durch Hitze und UV-Strahlung aushärten und porös werden können“, sagt Paul Englert. „Die Profiltiefe ist kein alleiniger Indikator dafür, wie gut der Reifen noch ist.“

Übrigens: Viele Autofahrer wissen nicht, dass im Ausland zum Teil schärfere Regeln gelten. So verlangt Österreich bei Winterreifen eine Mindestprofiltiefe von vier Millimetern bei Radialreifen. In Italien sind im Winter mindestens 3,5 Millimeter vorgeschrieben.