Erfurt. Geblieben Die ehemalige Belegschaft von Richter & Frenzel pflegt noch immer ihr Jahrestreffen

Die Gruppe der gut gelaunt Wartenden in der Abendsonne am Fischmarkt wird stetig größer. Das sei typisch für ihren Zusammenhalt von je her, sagt Jürgen Keck. Der 77-Jährige hat die Organisation in der Hand. Noch seien nicht alle da, 19 Anmeldungen habe er für das 2019-er Treffen bekommen. Die Treffpunkte wechseln jährlich.

Schließlich gehen sie alle gemeinsam ins Restaurant. Am reservierten Tisch bilden die Männer eine, die Frauen – zufällig? – die andere Tischfraktion. Kaum, dass sie sich Zeit für die Bestellung nehmen, kursieren schon die ersten Fotos und der Gesprächspegel steigt.

„Leninstraße 56/57 war unsere Adresse von Richter & Frenzel vor der Wende“, erzählen sie. „Wir sind alle mal Inventar gewesen“, zählen sie ihre Betriebsjahre auf. Richter und Frenzel gibt es seit 1895, verrät die Firmenchronik. Eine Haustechnik-Firma, die Handwerker von der Schraube bis zum Werkzeug belieferte. Und schon ab 1909 gehörte der Standort Erfurt dazu. Nach der Teilung Deutschlands war es der einzige ostdeutsche Betrieb „hinter der Mauer“. Der Name wurde beibehalten.

Jürgen Keck hat 32 Jahre bei R+F gearbeitet, war Kommissionär, hauptsächlich vertrieben sie Klempnerbedarf. Vieles in ihrem Bestand war gut geeignet für den ostdeutsche Tauschhandel. „Das hieß sozialistische Hilfe“, wird klargestellt. „Es gab ja keine Kontingente.“ Armaturen ermöglichten beispielsweise den ersten Firmencomputer von Robotron im Büro in der Leninstraße.

Kerngeschäft war der Klempnerbedarf

Die Bestellungen gingen im Büro ein, wurden im Lager bereitgestellt und im Bezirk Erfurt und darüber hinaus ausgefahren. „Oft auch an den Samstagen. Wir fuhren nach Berlin, Südthüringen, zu den Bäuerlichen Handelsgenossenschaften – BHG – nach Wernigerode oder Haberstadt“, erinnert sich gut gelaunt Bernd, der Kraftfahrer (77). Vier Lkw hatten sie und einen Trabant. Und die Vorgabe für die Spritmarken lautet: zurück nie als Leerfahrt.

Organisiert wurden die Touren vom Büro aus – auch für die damals zwei Außendienstarbeiter. Klempner. Das war eine Besonderheit für das eigentliche Logistikunternehmen, wie man heute sagen würde. Beim Laden der Lkw wurde mit zugefasst, ebenso bei Termindruck beim Zusammenstellen der Aufträge im Lager.

So wuchs der Zusammenhalt. Kichernd wird eingeräumt, dass sie eine „intensive Feierkultur“ pflegten. Karneval, Weihnachten, Frauentag, 1. Mai, Himmelfahrt, 7. Oktober... Sie waren nur 50 Betriebsangehörige, es ging familiär zu. Auch auf den beliebten Betriebsfahrten. Und im Alltag musste sich ein junger Kollege schon gefallen lassen, dass ihn die Bürofrauen mütterlich kontrollierten, weil es in seinem Zuhause nicht so klappte. Auch diese Fürsorge untereinander war damals typisch.

Das Essen im Restaurant wird aufgetragen. Prompt schweifen die Erzählungen der Ehemaligen zur Betriebsversorgung ab. Anekdoten aus der Kantine machen die Runde, das Essen in der benachbarten Druckerei Fortschritt wird ebenso gelobt wie im Centrum-Warenhaus oder im Gewerkschaftshaus. „Mit wem soll

man sonst über diese Erinnerungen reden?“, sagt Peter (66), der Mitte der 1970-er Jahre von der Baustoffversorgung zu Richter & Frenzel gekommen war.

Bei R+F war Karl-Heinz Kindervater von 1978 bis 1991 Geschäftsführer. Damals noch ein ganz junger Spund. „Wir arbeiteten in Kooperation mit dem VEB Baustoffversorgung, einem volkseigenen Großhändler, waren Agentur-Lager für den Bezirk Erfurt“, vergleicht Karl-Heinz Kindervater die Struktur mit einem heutigen Subunternehmen.

Mit der Wende kam „viel Konkurrenz“. Richter und Frenzel wurde wieder eine Niederlassung des bundesweiten Unternehmens mit eigenen Geschäftsführern. Seit 1994 gibt es das namhafte Unternehmen im Gewerbegebiet in Kerspleben. Ein Neustart, den Bernd bis zum Fuhrparkleiter noch miterlebte. Jürgen Keck blieb bis 2005 dabei, sein Sohn ist es noch bis heute.

„Mit der Marktwirtschaft änderte sich auch das Kundenverhalten, der Ton wurde ein anderer“, erzählen die Büro-Frauen. Bis dato hatte man Rares vergeben, dann gab es zu jedem Artikel 20 ähnliche Produkte. „Die sollten wir offensiv verkaufen.“ Eine harte Umstellung. Und die Leninstraße war als Firmenadresse auch nicht präsentabel.

Die alten Mitarbeiter teilen im zwanglosen Gespräch das Erlebte bei ihren Jahrestreffen. Dazwischen wird miteinander telefoniert. Sie waren im Lager, Kraftfahrer, Verkäufer, in der Verwaltung. Und Karl-Heinz Kindervater hütet bis heute ihr altes Brigadetagebuch. Ein Zeitdokument. „Die alten Firmenschilder habe ich ins Stadtmuseum gebracht.“

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