Berlin. Die neue Grundsteuer nervt Verbraucher und Behörden. Jetzt gibt es dagegen die erste Musterklage. War die ganze Arbeit umsonst?

Millionen Immobilienbesitzer haben sich in der jüngeren Vergangenheit mit der Grundsteuer herumgeärgert. Für die geplante Reform mussten sie zahlreiche Daten an den Fiskus übermitteln. Wie viel in Zukunft zu bezahlen ist, steht immer noch nicht fest. Jetzt beschäftigt die Grundsteuer auch die Justiz: Beim Berliner Finanzgericht ist eine erste Musterklage eingegangen. Ziel ist es, die gesamte Reform zu kippen. Wir erläutern die Hintergründe.

Was ist die Grundsteuer? Und warum wird sie reformiert?

Die Grundsteuer ist eine Steuer auf Grundbesitz. Wer eine Immobilie besitzt, muss sie jährlich entrichten. Die Einnahmen stehen den Kommunen zu. Im Jahr 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Reform angemahnt: Bisher wird die Steuer auf Basis überalterter Immobilienwerte berechnet. Im Westen sind die von 1964 maßgeblich, im Osten die von 1935. Im Herbst 2019 beschloss der Gesetzgeber eine Reform, treibende Kraft hinter dem wichtigen Projekt war der damalige Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Die Reform befindet sich gerade in der Umsetzung: Bis Ende Januar 2023 mussten Grundbesitzer die entsprechende Steuererklärung an das Finanzamt schicken. Es geht um die Neubewertung von 36 Millionen Immobilien in Deutschland. Im kommenden Jahr werden die Kommunen die neuen Hebesätze festlegen. Erst dann steht fest, wie hoch die Grundsteuer künftig im Einzelfall ausfallen wird. Erstmals erhoben wird die neue Grundsteuer zum 1. Januar 2025.

Wogegen richtet sich jetzt die Klage?

Ein Immobilienbesitzer will mit Unterstützung des Eigentümerverbands Haus & Grund sowie des Bundes der Steuerzahler vor dem Berliner Finanzgericht seinen Bewertungsbescheid anfechten. Die Musterklage sei auf den Weg gebracht, bestätigte Haus & Grund am Freitag auf Anfrage. Zunächst hatte die Wirtschaftswoche darüber berichtet. Weitere Klagen in anderen Bundesländern sollen folgen. Der Kläger und die Verbände wollen ein grundlegendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts herbeiführen, das nach Möglichkeit die Reform von 2019 rückgängig machen soll.

Betroffen wären alle Länder, die mit dem so genannten Bundesmodell arbeiten – das sind Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. Die übrigen Länder nutzen eine Öffnungsklausel und wenden eigene Methoden zur künftigen Grundsteuerberechnung an.

Wie funktioniert das Bundesmodell – und was spricht dagegen?

Die Berechnung der Grundsteuer soll künftig im Kern anhand des Bodenwerts und des Mietwerts einer Immobilie erfolgen. Haus & Grund sowie der Steuerzahlerbund hatten bereits im April Musterklagen angekündigt. Sie stützen sich auf ein von ihnen in Auftrag gegebenes Gutachten des Augsburger Verfassungsrechtlers Gregor Kirchhof. Dieser kam zu dem Schluss, dass das Bundesmodell verfassungswidrig sei. Kirchhof argumentierte unter anderem, dass die Bodenrichtwerte nicht vergleichbar seien. Die Bewertung sei auch zu kompliziert, individuelle Umstände wie Lärm oder Baumängel würden nicht berücksichtigt.

Kann es wirklich sein, dass das Verfassungsgericht die Reform kippt?

Zunächst einmal: Bis Musterklagen zum Verfassungsgericht vordringen und dort ein Urteil ergeht, dürfte viel Zeit ins Land gehen. Vermutlich bleibt es beim Start der neuen Grundsteuer zum 1. Januar 2025. Sollte sich Karlsruhe tatsächlich der Sache annehmen, gäbe es grundsätzlich drei Möglichkeiten: Das Gericht könnte die Klage abweisen. Es könnte theoretisch auch zu dem Ergebnis kommen, dass die gesamte Reform null und nichtig sei und die Kommunen den Eigentümern die bisher gezahlte Grundsteuer erstatten müssten. Das wird aber kaum passieren, denn dann wären viele Kommunen sofort pleite. Denkbar wäre aber auch, dass das Gericht das Gesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt und Korrekturen anmahnt.

Wie sollten sich Verbraucher jetzt verhalten?

Wer seine Grundsteuererklärung an den Fiskus übermittelt hat, erhält von diesem nach Bearbeitung zwei Bescheide – den Grundsteuerwertbescheid und den Grundsteuermessbescheid. 2024, wenn die Kommune den neuen Hebesatz festgelegt hat, folgt der eigentliche Grundsteuerbescheid samt Zahlungsaufforderung. Mehrere Millionen Eigentümer haben bereits Einspruch gegen die ersten beiden Bescheide eingelegt – etwa, weil sei einen Fehler entdeckt haben. Dafür hat man vier Wochen Zeit. Ob es sinnvoll ist, aus grundsätzlichen Erwägungen heraus Einspruch einzulegen, ist umstritten. Der Präsident der Bundessteuerberaterkammer, Hartmut Schwab, hatte unserer Redaktion im Frühjahr gesagt: „Häufig hat die Grundsteuer kein riesiges Volumen, beträgt vielleicht 600 Euro im Jahr. Legen Sie nun Einspruch ein, streiten Sie sich um vielleicht 50 oder 60 Euro.“

Was ist in den Finanzämtern los?

Dort sind weiterhin viele Kräfte durch die Grundsteuerreform gebunden – unter anderem auch Betriebsprüfer, die eigentlich Unternehmen auf die Finger schauen sollten. „Das geht am Ende des Tages zu Lasten der Steuergerechtigkeit“, sagte der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, Florian Köbler, unserer Redaktion. Köbler geht davon aus, dass auch die Bearbeitung der aktuellen Einkommensteuererklärungen im Schnitt zwei bis drei Monate länger dauern wird als in vorherigen Jahren. Das bedeutet, dass viele Verbraucher länger auf mögliche Rückzahlungen warten müssen.