Krieschow/Cottbus. Landwirte wollen Bundeskanzler Scholz in Cottbus zur Rede stellen. Längst geht es um mehr als Steuervergünstigungen für Agrardiesel.

Reiner Pohl hat die Schnauze voll. Sein ganzes Leben habe er geschuftet, Heu reingeholt, im Sommer stundenlang auf Äckern gestanden, Traktor gefahren – manchmal bis zu 15 Stunden am Tag. Abends, wenn er nach Hause kommt, wartet dann sein eigener kleiner Hof. Ein paar Hektar, Nebengewerbe, nichts Großes. Nur so viel, dass er sich einen Urlaub im Jahr leisten kann. Der 64-Jährige steckt sich einen Zigarillo an, bläst den Rauch in die Halle, schüttelt den Kopf. „Diese Regierung muss weg, sie treibt Deutschland in den Ruin“, sagt er.

Es ist Donnerstagmorgen, 6 Uhr, auf einem großen Landwirtschaftsbetrieb in Krieschow, einem 500-Seelen-Dorf im Osten Brandenburgs. Hier versammeln sich Bauern, um in einem Traktor-Korso nach Cottbus zu fahren. Dort wollen sie, so der Plan, BundeskanzlerOlaf Scholz (SPD) zur Rede stellen. Er wird in Cottbus später am Morgen bei der Eröffnung des größten ICE-Instandhaltungswerks der Deutschen Bahn erwartet.

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    Noch warten die mächtigen Traktoren aber im Hof. Es sind Dutzende. Die Motoren laufen langsam warm, Scheinwerfer durchdringen die Dunkelheit. Ein Trecker, der wohl Josi gehören muss – das Namensschild hängt jedenfalls in der Windschutzscheibe –, hebt seine Gabel bedrohlich in die Höhe. Darauf aufgespießt ist eine Holzpalette. Auf der steht: „Ohne uns wärst DU hungrig, nackt & nüchtern.“ Eine Botschaft von vielen, eine, die auch zu den überwiegend harmloseren an diesem Tag zählt. Über die anderen wird noch zu reden sein. Unter der Palette baumelt ein Gummistiefel mit einem dicken weißen Kreuz.

    Längst geht es um mehr als Steuervergünstigungen

    In der Halle zeigen sich die Fahrer am Morgen kämpferisch, es sind Bauern, Traktoristen wie Reiner Pohl, junge Männer, die auf einem Bauernhof neben der Schule etwas hinzuverdienen. Unter ihnen herrscht eine Art Aufbruchstimmung. Dabei geht es vielen längst nicht mehr nur um den Abbau der Steuervergünstigungen für Agrardiesel – einer der Gründe, weshalb die Bauern eigentlich massenhaft auf die Straßen gegangen sind.

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    Vor wenigen Tagen schreibt der Deutsche Bauernverband auf Instagram, dass er sich „aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen“, distanziere. Auch das von Nancy Faeser (SPD) geführte Bundesinnenministerium warnt davor, dass rechtsextreme Kräfte versuchen könnten, die Bauernproteste zu missbrauchen.

    Die Frage an diesem Tag ist: Schaffen es die Bauern, sich wirklich von den Rechtsextremen abzugrenzen, auch und gerade in Cottbus, das als Sammelbecken für Rechtsextreme gilt?

    Rechtspopulistische Rhetorik wird offen geteilt

    In der Halle in Krieschow reden sie an diesem Morgen, ähnlich wie Pohl, von einem Rücktritt der Ampel-Regierung oder zumindest der Grünen. Das seien ohnehin Leute, die noch nie in ihrem Leben gearbeitet hätten – ein Narrativ, an dem sich rechte Medien seit Monaten abarbeiten.

    In der Halle setzt sich ein Mann neben Reiner Pohl, der sich als Krüger vorstellt. Er sagt, bis vor wenigen Jahren habe er einen eigenen Betrieb gehabt. Dann hätten die Ärzte bei ihm Darmkrebs festgestellt. Nun habe sein Sohn übernommen. Er macht sich nicht einmal die Mühe, seine rechtspopulistische Rhetorik für sich zu behalten. „Deutschland den Deutschen“, sagt er.

    7.23 Uhr. Ein lauter Ruf hallt über den Hof: „Alles aufsetzen!“ Langsam rollt der kilometerlange Traktor-Konvoi über die Landstraßen. Auch Krüger fährt mit. Im Nachbarort Limberg – zwischen Krieschow und Cottbus – klatschen Menschen Beifall auf den Straßen, zwei Frauen kommen aus einer Haustür gestürmt, um den Korso mit ihrem Smartphone zu filmen. Vor einer Hauseinfahrt tanzt gar eine Frau.

    Forderungen an die Regierung mit aufgespießtem Gummistiefel

    In Cottbus drehen die Traktorfahrer ihre Runde durch die Stadt, ehe sie an dem Werk der Deutschen Bahn vorbeigeleitet werden. Sie hupen laut und pfeifen. Olaf Scholz spricht in diesen Minuten in der Halle. Die Polizei hat den Zugang weitgehend abgesperrt, um einen Zusammenprall des Bundeskanzlers mit den rund 500 wütenden Bauern zu vermeiden. Sie müssen ein paar Dutzend Meter entfernt ihre Kundgebung abhalten.

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    Jannek Schneider (18) wartet dort schon seit mehr als 30 Minuten. Er sticht mit seiner Mistgabel in der Hand heraus. Darauf aufgespießt ist ein Gummistiefel. Er sagt, er sei hier wegen der möglichen Abschaffung der Subventionierung des Agrardiesels. Allerdings wolle er auch, dass die Regierung um „180 Grad gedreht“ werde, für ihn bedeute das, es brauche eine Regierung, die zu Deutschland stehe.

    Derweil verkündet der Vizepräsident des Landesbauernverbandes auf der Bühne eine schlechte Nachricht für die Bauern. Olaf Scholz werde nicht zu ihnen sprechen. Quittiert wird das mit vereinzelten Pfiffen, einer aus der Menge ruft „Feigling“. Die gute Nachricht sei aber, der Präsident des Verbandes, Henrik Wendorff, spreche mit dem Kanzler.

    Fast zwei Stunden sind vergangen, als Wendorff dann auf die Bühne tritt. „In seinem kurzen Zeitfenster hat er (Scholz) sich die Zeit genommen.“ Unmut macht sich breit. „Keine Zeit fürs Volk“, raunt es aus dem Publikum. Wendorff zeigt sich unbeirrt. Der Kanzler habe ihm gesagt, er werde mit Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) sprechen. Inhaltliche Zugeständnisse habe es aber nicht gegeben. Am Ende fahren die Bauern ernüchtert nach Hause.

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