Berlin. Der Mitschnitt eines internen Gesprächs von Bundeswehr-Offizieren wurde in Russland veröffentlicht. Warum dieser Fall so brisant ist.

Eine Spionage-Affäre irritiert die Bundesregierung. Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hat einen Audiomitschnitt eines gut 30-minütigen Gesprächs zwischen führenden Bundeswehr-Offizieren veröffentlicht. Das Gespräch diente der Vorbereitung einer Information für Verteidigungsministerin Boris Pistorius (SPD) über das Waffensystem „Taurus“ – und wurde abgehört. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einer „sehr ernsten Angelegenheit“ und will „Aufklärung“. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Spionage bei der Bundeswehr: Wie groß ist der Schaden?

Erstens, die Geheimhaltung ist dahin. Zweitens, die Spitzenoffiziere, darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz, waren in ihrer Kommunikation zu sorglos. Sie nutzten wohl keine gesicherte Leitung, sondern die Videokonferenz-Software „WebEx“; einer schaltete sich per Telefon aus Singapur zu.

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Drittens, wenn die Russen dieses Gespräch abhören konnten, wird ist es kein Einzelfall bleiben. Die deutsche Spionageabwehr steht auf dem Prüfstand. „Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen“, warnte denn auch die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) im Gespräch mit unserer Redaktion. Scholz verspricht „Aufklärung“.

Viertens, je nach Opportunität könnte Russland weitere „geleakte“ Gespräche veröffentlichen. Fünftens, es ging um ein brisantes Thema: die mögliche Lieferung von „Taurus“-Marschflugkörper an die Ukraine.

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Reicht die Spionage-Affäre bis Scholz?

Der Kanzler hatte eine Lieferung von Taurus unter anderem mit dem Argument abgelehnt, dass dazu deutsche Experten vor Ort die Marschflugkörper programmieren müssten. Aus dem Mitschnitt geht hervor, dass Scholz sachlich falsch liegt. Dafür erfährt man, dass britische und amerikanische Experten vor Ort sind, um der Ukraine bei der Handhabung von Waffen zu helfen; was delikat ist, weil es sich mit Sicherheit um eine Geheimdienst-Operation handelte.

Schließlich entnimmt man dem Gespräch, dass die Bundeswehr allenfalls 100 von 600 Taurus-Flugkörpern liefern könnte. Dann wäre „Ende Gelände“, wie ein Teilnehmer sagt. Das wirft die Frage auf, wie viel dieser Waffen bei der Truppe einsatzfähig sind.

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Wer ist der Nutznießer der Veröffentlichung?

Kurzfristig: Russland. Denn das Gespräch soll offenkundig belegen, dass Deutschland sich direkt am Ukraine-Krieg beteiligen würde, was Scholz unbedingt vermeiden will. Der Kanzler soll offenbar darin bestärkt werden, bei seiner harten Linie zu bleiben. Gegen Ende der Unterhaltung diskutieren die Offiziere, welche Ziele von der Ukraine mit dem Taurus bombardiert werden könnten. Darunter: die für Russland nicht nur militärisch, sondern auch propagandistisch wertvolle Kertsch-Brücke.

Die Kertsch-Brücke verbindet das russische Festland und die Halbinsel Krim.
Die Kertsch-Brücke verbindet das russische Festland und die Halbinsel Krim. © DPA Images | -

Das Bauwerk verbindet die Krim-Halbinsel mit dem Festland, ist eine der wichtigsten Nachschubrouten für die russische Armee und demonstriert aus Kreml-Sicht den Anspruch Russlands auf die Krim. Aus dem Gespräch geht indes auch hervor, dass kein Bundeswehr-Soldat in der Ukraine sein müsste, um „Taurus“ scharfzustellen, wie Scholz angenommen hatte. Das kann langfristig argumentativ wiederum der Regierung in Kiew in die Karten spielen.

Wie geht es weiter?

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) ermittelt. Es wird geprüft, „ob interne Kommunikation im Bereich der Luftwaffe“ abgehört worden sein könnte, so der „Spiegel“. Aus dem Bundestag kommen die Rufe nach „Aufklärung“ und „Konsequenzen“. Auch in der Bundeswehr dürfte die Affäre ein Nachspiel haben. Vor allem wird aber die russische Propaganda die Affäre ausschlachten. Der frühere Präsident Russlands, Dimitrji Medwedew, schrieb schon auf der Plattform X: „Unsere historischen Feinde, die Deutschen, haben sich erneut zu unserem Erzfeind entwickelt.“

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