Berlin. Aktive Atomkraftwerke gibt es in Deutschland nicht. Neue Konzepte versprechen sichere und bessere Reaktoren. Doch es gibt Probleme.

Seit dem vergangenen Jahr ist Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen, im April 2023 wurden die letzten drei AKW abgeschaltet. Die Debatte läuft aber weiter. Die herkömmlichen Anlagen sind zwar abgeschaltet, neue Technologien versprechen jedoch sauberen Strom und eine Lösung für den radioaktiven Abfall. Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat sie sich die Technologien genau angesehen.

Mit welcher Technik laufen herkömmliche Atomkraftwerke?

Grundsätzlich arbeiten alle Atomreaktoren ähnlich: Durch die Kernspaltung entsteht Hitze, die genutzt wird, um Strom zu erzeugen. Klassische Reaktoren verwenden Wasser, um den Reaktor zu kühlen. Es verdampft, treibt eine Turbine an, wird wieder flüssig. Dann beginnt der geschlossene Kreislauf von vorn. Wichtig: Das Wasser, das Kraftwerke aus Flüssen oder dem Meer bekommen, kühlt das Gas aus der Turbine und kommt nicht mit dem Reaktorinneren in Berührung.

Was sind alternative Technologien?

Andere Technologien nutzen statt Wasser zum Beispiel Gas, wie Helium, um den Reaktor zu kühlen. Verwendet werden können auch Blei, Natrium oder eine besondere Salzschmelze. In einem weiteren Schritt wird dann die Hitze per Wärmetauscher an Wasser abgegeben, das die Turbine antreibt. In jedem Fall sind Brennstäbe nötig und ein Reaktor. Geforscht wird vor allem in den USA, Russland und China.

Warum wird an neuartigen AKW geforscht?

Wer auf Atomenergie setzt, muss sich mit hochradioaktivem Atommüll beschäftigen. Einige der neuen Technologien sollen ihn als Brennstoff verwenden. Im besten Fall wäre ein Endlager überflüssig. Manche Technologie soll sicherer sein oder den Brennstoff besser ausnutzen. Ganz neu sind die vermeintlich neuartigen Technologien nicht. Viele seien bereits in den 50er und 60er Jahren entwickelt worden, sagt Christian Kühn, Präsident des BASE. Keine habe sich bis heute durchgesetzt. Seit der Jahrtausendwende werden die Alternativen wieder genauer betrachtet – seit der Klimawandel die Suche nach sauberen Energiequellen antreibt.

Wann sind die neuen Technologien marktreif?

In den vergangenen Jahrzehnten gab es nach Angaben von Christoph Pistner vom Öko-Institut in Darmstadt zwar neue Erkenntnisse, bisher gibt es aber keine kommerzielle Anlage. Der Physiker ist einer der Autoren der Studie. Co-Autor Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität Berlin erwartet marktreife Anlagen frühestens in vier Jahrzehnten, wenn überhaupt. Ein Problem sind die Kosten. Die US-Investmentbank Lazard bezifferte die Stromerzeugungskosten der Atomenergie 2021 auf rund 167 Dollar je Megawattstunde, für Wind und Solar lagen sie unter 50 Dollar. „Die Technologien werden seit mehr als 50 Jahren entwickelt, aber niemand wendet sie an, weil sie schlicht nicht wettbewerbsfähig sind“, sagt Wirtschaftsingenieur von Hirschhausen. Für den Klimaschutz kommen sie jedenfalls deutlich zu spät.

2023 wurden die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet.
2023 wurden die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet. © DPA Images | Armin Weigel

Wie sicher sind solche neuartigen Anlagen?

Einige der Anlagen sind in Teilen sicherer als herkömmliche AKW. Die Vorteile an einer Stelle würden aber durch Nachteile an anderer aufgewogen, sagt Pistner vom Öko-Institut. Insgesamt seien die alternativen Reaktorkonzepte nicht besser. Vielmehr gebe es neue Sicherheitsfragen, die zusätzliche Forschung nötig machten.

Werden Endlager überflüssig?

Eher nicht. Selbst wenn die Anlagen effizienter als klassische arbeiteten, falle weiter hoch radioaktiver Abfall an, wie BASE-Präsident Kühn sagt. Zusätzlich entsteht radioaktiv verstrahltes Material, etwa Natrium oder Salzschmelze, mit dem man bisher keine Erfahrung hat. Und bestehenden Atommüll so aufzuarbeiten, dass er weiter als Brennstoff verwendet werden kann, ist aufwändig und dauert. Weil nicht jeder Müll verwendet werden kann, muss er doch auf die Deponie. „Ein Endlager in Deutschland ist ohne Alternative“, sagt BASE-Präsident Kühn. Das Amt überwacht die Suche nach einem geeigneten Ort in Deutschland.

Was sind SMR?

SMR steht für Small Modular Reactors, kleine modular aufgebaute Reaktoren. Die Idee: Statt weniger großer Reaktoren werden sehr viele kleine gebaut, die standardisiert sind und sich industriell wie am Fließband fertigen lassen. So sollen die Kosten für die Anlagen deutlich sinken. Weltweit gibt es zahlreiche solcher Projekte, die mit unterschiedlichen Technologien arbeiten. Verwirklicht ist bisher keines, unter anderem wegen der hohen Kosten.

Warum wird trotz des Atomausstiegs in Deutschland immer noch über Atomenergie debattiert?

Atomkraftwerke liefern zuverlässig Strom und schaden dabei dem Klima nicht. Doch auch sie sind anfällig. So muss Frankreich als größte Atomnation der Welt immer wieder Kraftwerke herunterfahren, wenn die Kühlwassermenge in den Flüssen nicht reicht. Zudem ist das Thema geradezu mythisch umweht, der Mensch zähmt die Kraft der Natur und schafft saubere Energie im Überfluss. Oder, wie es BASE-Präsident Kühn sagte: „Das Thema hat eine starke Dimension der Hoffnung. Wir als Berater der Politik liefern dazu einen Ausschnitt der Wirklichkeit.“