Berlin. Deutschlands Bevölkerung altert rasant. Zu lange wurde die Entwicklung vernachlässigt. Nun werden die Folgen sichtbar. Ein Kommentar.

  • Jahrelang lagen die wirtschaftlichen Parameter in Deutschland im grünen Bereich: Fast zwei Jahrzehnte Aufschwung liegen hinter dem Land
  • Doch die Zeiten ändern sich immer schneller, die Krisen kommen häufiger
  • Und sie treffen auf eine immer älter werdende Bevölkerung in Deutschland - mit fatalen Folgen, wie unser Autor findet

Mitunter kann man den Eindruck gewinnen, die Alterung der deutschen Bevölkerung kommt wie Kai aus der Kiste. Die Rente? In ihrer jetzigen Form perspektivisch kaum noch finanzierbar. Der Arbeitsmarkt? Steuert auf eine gewaltige Fachkräfte- und Arbeiterlücke zu. Der Wohnungsmarkt? Völlig ungeeignet für eine Vielzahl an Menschen, die in einigen Jahren womöglich nicht mehr problemlos die Stufen zur Eingangstür oder die Schwelle zum Badezimmer nehmen können.

Dabei geht die Zahl der Geburten seit Mitte der 60er Jahre zurück. Seit mehr als einem halben Jahrhundert weiß man, was nun bald Realität werden wird: Die bevölkerungsstärksten Jahrgänge werden sich bis um das Jahr 2030 herum in den Ruhestand begeben.

Rente: Der Frust der jungen Generation sitzt tief

Die politischen Ergebnisse aus dieser Erkenntnis sind ernüchternd. Bei der Rente wurden am Renteneintrittsalter und Rentenniveau gedreht: Länger arbeiten für kleinere Renten. Trotzdem steigt der benötigte Zuschuss an die Rentenversicherung über den Bundesetat Jahr für Jahr. Kaum ein Wahlkampf verging ohne das Versprechen der zukunftsfesten Rente.

Eine wirkliche Reform aber war stets eine heiße Kartoffel, gleich welche Couleur gerade das Sagen hatte. Immerhin will die Ampel-Koalition nun eine Kapitaldeckung nach skandinavischem Vorbild einführen. Reichlich spät und in zu geringem Umfang, um der jungen Generation eine ernsthafte Perspektive auf die Rente zu geben. So funktioniert ein Generationenvertrag nicht und entsprechend tief sitzt der Frust in der jungen Generation.

Arbeitsmarkt: Es geht um Schadensbegrenzung

Auch beim Arbeitsmarkt geht es längst nur noch um Schadensbegrenzung. Experten schätzen den Bedarf auf 400.000 Zuwanderer pro Jahr, um die entstehenden Lücken zu schließen. Es fehlt in allen Bereichen: Ob bei einfachen Hilfstätigkeiten oder bei komplexen Anforderungen etwa im IT-Bereich. Ob das von der Ampel geplante Einwanderungsgesetz diese Lücke mit adäquaten Fachkräften schließen kann, ist mehr als fraglich.

Immerhin: Beide Themenkomplexe sind als gesellschaftlich hochrelevante Problem erkannt worden und prägen immer wieder die Debatte. Beim altersgerechten Wohnen ist das anders. In Deutschland gibt es viel zu wenig barrierefreie oder zumindest barrierearme Wohnungen. Gerade einmal 1,5 Prozent der Wohnungen hierzulande gelten als barrierefrei. Es muss dringend etwas passieren.

Altersgerechtes Wohnen wird sträflich vernachlässigt

Aber die politischen Rahmenbedingungen sind ungenügend. Verbände und Gewerkschaften treffen einen Punkt, wenn sie anprangern, dass zinsverbilligte Kredite für Seniorinnen und Senioren zur Farce werden, wenn diese aufgrund ihres Alters gar keine Bewilligung mehr erhalten.

Tobias Kisling, Wirtschaftsredakteur
Tobias Kisling, Wirtschaftsredakteur © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Dabei gibt es eigentlich ein Zuschussprogramm, das auch das Bundesbauministerium prominent bewirbt. Mit einem Haken: Der Topf ist leer. Seit acht Monaten. Als im Vorjahr kurzzeitig 75 Millionen Euro bereitstanden, war das Geld binnen sechs Wochen vergriffen. Das Interesse am altersgerechten Umbau ist vorhanden. Aber die Kosten scheinen viele abzuschrecken.

Verwunderlich ist das nicht. Viele Seniorenhaushalte verfügen nur über kleine Einkommen. Selbst wenn sie ein eigenes Haus oder eine Wohnung besitzen, können sie sich längst nicht immer kostspielige Umbauten leisten. Lässt man sie allein, drohen die Folgen fatal zu werden. Müssen die Babyboomer früher als eigentlich notwendig ihre Wohnungen verlassen, werden die Kosten für die Pflegeversicherung immens ausfallen. Dass es bis dahin genug bezahlbare Heimplätze gibt, darf ebenfalls bezweifelt werden. Vor allem aber stellt der Verlust der eigenen vier Wände für viele Seniorinnen und Senioren eine große Angst dar. Ihnen ein selbstständiges Leben zu Hause zu ermöglichen, ist nicht nur volkswirtschaftlich kostengünstiger. Es ist vor allem menschlich.