Erfurt. Von zu Hause aus arbeiten wie im Büro: Für viele ist das inzwischen Standard – in der Thüringer Justiz ist die Lage anders. Zum Frust mancher Staatsanwälte.

Auch etwa ein dreiviertel Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie kann der überwiegende Teil der Thüringer Richter und Staatsanwälte noch nicht vollständig von zu Hause aus arbeiten. Der zentrale Grund dafür ist nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur, dass sie von zu Hause aus nicht über sichere Verbindungen auf das Landesdatennetz zugreifen können.

Zwar seien Richter und Staatsanwälte mit Notebooks ausgestattet, die sie auch mit nach Hause nehmen können, sagte ein Sprecher des Thüringer Justizministeriums. Jedoch könnten – «grob geschätzt» – nur etwa zehn Prozent von ihnen mit diesen Notebooks auch über sogenannte VPN-Tunnel auf das Gerichtsnetzwerk zugreifen. Ohne diesen Zugriff können die Juristen aber nicht genau so arbeiten wie in ihren Büros. Das Ministerium beteuert dennoch, alle Institutionen des Rechtsstaats würden auch in Corona-Krise ihre Funktionen vollständig erfüllen.

Immerhin sei die Zahl der Richter und Staatsanwälte in den vergangenen Monaten gestiegen, die von zu Hause aus über einen VPN-Tunnel Zugang zum Gerichtsnetzwerk haben. «Die Ausstattung aller Richter und Staatsanwälte mit Laptops war bereits vor Beginn der Pandemie abgeschlossen, es verfügten allerdings nur circa fünf Prozent über VPN-Zugänge», sagte der Sprecher des Ministeriums.

Heftige Kritik wegen VPN-Zugänge

Als Grund dafür, dass nur wenige einen VPN-Zugang haben, gab der Sprecher die laufende Einführung der elektronischen Akte – der sogenannten eAkte – in der Justiz an. Dieses Vorhaben habe Priorität. «Spätestens mit der Einführung der eAkte erhalten die Richter und Staatsanwälte einen VPN-Zugang und können dann auf die elektronischen Akten und auch auf das Fachverfahren aus dem Home Office zugreifen», so der Sprecher. Es werde dann möglich sein, nahezu alle Bürotätigkeiten von zuhause aus zu erledigen.

Während das Justizministerium es nicht für ein allzu großes Problem hält, dass der überwiegende Teil der Richter und Staatsanwälte keine VPN-Zugänge hat, gibt es aus den Kreisen der Staatsanwälte heftige Kritik an dieser Situation. «Das ist wirklich nicht zufriedenstellend», erklärte Holger Pröbstel, Vorsitzender des Thüringer Richterbundes. Die Organisation vertritt die Interessen von Richtern und Staatsanwälten im Land. «Da ist die Justiz hinten dran», so Pröbstel.

Der Jurist berichtet zudem von Problemen bei den wenigen bestehenden VPN-Zugängen am Landgericht Erfurt, wo er selbst tätig ist. «Die haben einfach drei Tage lang nicht funktioniert», schilderte Pröbstel. Dazu kämen verschiedene Datenschutz-Probleme mit den Dienstlaptops der Juristen.

So berichtete beispielsweise ein Staatsanwalt, der nach eigenen Angaben über keinen VPN-Zugang für seinen Dienst-Laptop verfügt, wegen der aus seiner Sicht mangelhaften technischen Ausstattung könne er von zu Hause aus seine Dienst-E-Mails nicht lesen. Auch sei es ihm nicht möglich zu prüfen, ob Beschuldigte bereits Vorstrafen hätten oder es zu einem Verfahren Gegenanzeigen gebe. Die Bearbeitung etwa von Zeugenladungen sei ebenfalls nicht möglich, weil dazu der Zugriff auf eine Software nötig sei.

In den Sommermonaten sei viel wertvolle Zeit verloren worden, in der die VPN-Zugänge hätten eingerichtet werden können, heißt es bei den Juristen. Dies sei unverantwortlich. Denn trotz Corona ließen sich in einem Rechtsstaat viele persönliche Kontakte nicht vermeiden. Sie seien auch derzeit regelmäßig stundenlang mit anderen Menschen in oft schlecht zu lüftenden Gerichtssälen.

Beim Beginn des «Jungsturm»-Prozesses gegen mutmaßliche Hooligans am Landgericht Gera im November war das besonders deutlich geworden. Damals hatten sich in einem großen Gerichtssaal neben den vier Angeklagten mit je zwei Rechtsanwälten, zwei Staatsanwälte, drei Richtern und mehreren Schöffen auch noch etwa ein Dutzend Polizisten und Justizwachtmeister im Raum aufgehalten - plus zahlreiche Zuschauer.