Erfurt. Der Erfurter Allgemeinmediziner Volker Kielstein hat eigenständig Stützpunkte für Corona-Abstriche eingerichtet – weil die Politik und die Gesundheitsämter aus seiner Sicht viel zu langsam agieren.

Das private Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) Kielstein, das derzeit an 15 Standorten in Thüringen Praxen betreibt, hat wegen der Corona-Epidemie eigenständig fünf zentrale Anlaufstellen zur Probeentnahme eingerichtet. Wir sprachen darüber mit dem Ärztlichen Leiter und Geschäftsführer Volker Kielstein.

In Pößneck musste die Hausarztpraxis, in der sich Thüringens erster Corona-Patient vorgestellt hat, vorsorglich eine Woche schließen. Wollen Sie ein solches Szenario verhindern und zugleich die Gefahr der Ansteckung für Mitarbeiter und Patienten verringern?

Genau, das ist der ausschlaggebende Grund. Deshalb haben wir separate Räume eingerichtet, in denen wir Patienten mit Infektionskrankheiten behandeln und von den anderen Patienten trennen. Damit gewähren wir den Patienten, die nicht an einer Infektionskrankheit leiden, aber zum Beispiel chronisch krank sind und deshalb regelmäßig zum Arzt müssen, maximalen Schutz. Das Gleiche gilt für unser Personal: Vor dem Hintergrund, dass keinerlei Schutzmasken mehr verfügbar sind, können wir nur die Mitarbeiter in den Infektionsbereichen mit diesen Masken ausstatten.

Wo befinden sich die Stützpunkte? Innerhalb der Praxen?

Wir haben derzeit fünf, bald sechs solcher Stützpunkte. In Erfurt befinden sie sich in den Ärztehäusern, haben aber separate Eingänge. In Jena haben wir es so gemacht, dass wir Hintereingänge oder Balkontüren als Zugänge nutzen. Wir haben sogar kurzfristig Wege über Wiesen angelegt, damit diese Eingänge gut erreichbar sind. Innerhalb der Abstrichbereiche gibt es Personalschleusen, in denen die Kleidung gewechselt wird. Wir haben dort einen hohen hygienischen Standard, den auch die Gesundheitsämter abgenommen haben. Damit laufen die Praxen selbst dann, wenn wir einen positiven Befund hätten, nicht Gefahr, unter Quarantäne gestellt zu werden.

Viele Hausärzte beklagen, dass sie keine Schutzkleidung haben und auch keine mehr aufzutreiben sei. Wie lösen Sie dieses Problem?

Das ist geradezu abenteuerlich, weil aus meiner Sicht bei uns die Politik, der Katastrophenschutz und die Gesundheitsämter auf ganzer Linie versagt haben. Vor anderthalb Wochen konnte man in ganz Europa mit einem Schlag plötzlich keine Masken mehr bestellen – weder online noch über unsere Lieferanten. Ich habe dann schnell in Russland Masken bestellt, von denen ich auch eigenhändig eine erste größere Menge hierher gebracht habe.

Sie sind extra deswegen nach Russland geflogen?

Ja, klar. Das ist ja kein Akt. Aber nachdem ich gesehen habe, dass sich die Situation noch weiter verschärft und wir für unsere Stützpunkte viel Material brauchen, habe ich größere Mengen nachbestellt. Doch nachdem Putin vorige Woche den Export untersagt hat, liegt die Lieferung in Russland – und ich kriege sie nicht mehr her. Das ist fatal.

Was sollte aus Ihrer Sicht geschehen?

Meines Erachtens müsste die Politik Firmen in die Pflicht nehmen, damit sie für das eigene Land kurzfristig Masken herstellen. Es gibt zum Beispiel Matratzenhersteller, die mit denselben Ausgangsmaterialien arbeiten und diese Masken produzieren könnten. Wir selber haben derzeit nur noch ungefähr 200 Masken im Schrank, die für unsere Stützpunkte aber dringend brauchen. Wenn wir aber solche Verhältnisse wie in Italien bekommen, womit ich auch ernsthaft rechne, dann sehe ich schwarz.

War es vor diesem Hintergrund schwierig, Mitarbeiter für die Abstrichstützpunkte zu finden?

Ja. Denn wir haben ohnehin wegen der allgemeinen Infektwelle einen hohen Krankenstand. Ich konnte aber Mitarbeiter auf freiwilliger Basis gewinnen, weil wir den hohen FFP3-Schutzstandard fahren, der noch höher als vorgeschrieben ist, und weil ich Zuschläge zahle. Überhaupt kostet uns das alles wahnsinnig viel Geld, zumal wir auch noch in kürzester Zeit umbauen und zum Beispiel Trennwände einziehen mussten. Dabei bekommen wir aber derzeit keinen einzigen zusätzlichen Euro, weil wir für die Abstriche nichts abrechnen können. Wir machen das im Grunde alles für lau. Um überhaupt mit dem knappen Personal hinzukommen, habe ich eine Urlaubssperre verhängt. Ich weiß nicht, was passiert, wenn die Krise bei uns so wie in Italien um sich greift.

Sehen Sie jetzt nicht zu schwarz?

Nein. Das Virus hat sich inzwischen überall verbreitet. Positive Befunde gibt es ja nur dort, wo ein teurer Labortest veranlasst wird. Viele Länder haben gar nicht genug solche Tests und Laborkapazitäten. Ich gehe davon aus, dass in vielen Ländern die Dunkelziffer weitaus höher ist und viele Menschen Überträger sind, die noch gar keine Symptome haben. Den Effekt sehen wir in Erfurt, wo sich eine Frau infiziert hat, die weder in einem Risikogebiet war noch viel unter Leuten. Das ist Ausdruck dessen, dass wir unter uns viele Überträger der Krankheit haben, so dass sich das Virus ungehindert ausbreiten kann. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum das Coronavirus aufhören sollte zu existieren. Die derzeitigen massiven Schutzmaßnahmen können nicht mehr verhindern, dass es sich flächendeckend einnistet.

Denken Sie nicht, dass es zeitnah einen Impfstoff wie gegen die Virusgrippe geben wird?

Das hoffe ich. Aber dann muss man natürlich auch schauen, dass ausreichende Mengen produziert werden. Die Produktionsstätten sind ja heute alle in Indien und China – und da geht es ja schon wieder damit los, dass diese Länder erst einmal ihren eigenen Bedarf decken werden und wir leer ausgehen. Mir schwant nichts Gutes.

Zurück zu Ihrem Pandemieplan: Hatten Sie den gewissermaßen in der Schublade liegen für den Fall der Fälle?

Nein. Das kam mir wie ein Geistesblitz am vorletzten Wochenende, nachdem ich realisiert habe, dass es keine Schutzmaterialien mehr gibt. Bis dahin hatte ich zunächst die allgemeinen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts bei uns umgesetzt. Aber als klar war, dass wir nicht mehr genügend Desinfektionsmittel, Schutzkittel und vor allem Schutzmasken haben, habe ich quasi über Nacht diesen Plan entwickelt. Vorigen Dienstag hatten wir dann schon den ersten Abstrichstützpunkt eingerichtet. Zum Glück habe ich eine leistungsfähiges Management-Team, so dass wir auch auf Krisensituationen schnell und effektiv reagieren können. Das wünschte ich mir von vielen anderen Einrichtungen auch.