Essstörungen, Panikattacken, Selbstmordgedanken: In Thüringens Kliniken sind die Fallzahlen von jungen Menschen mit psychischen Erkrankungen seit Corona deutlich gestiegen.

In Thüringen müssen immer mehr Kinder und Jugendliche wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen als Folge der Corona-Pandemie behandelt werden.

Wie eine Umfrage von MDR Thüringen in den Kliniken im Freistaat ergab, ist in allen Häusern der Bedarf an Behandlungen infolge von Lockdowns, geschlossener Schulen und fehlender sozialer Kontakte gestiegen. Genaue Zahlen dazu werden statistisch nicht erfasst, so die Kliniken, die dennoch alle einen erhöhten Bedarf an Behandlungen und Therapien verzeichnen.

Ein Viertel mehr Fälle als vor Corona

Allein im Südharz Klinikum in Nordhausen werden aktuell durchschnittlich bis zu 25 Prozent mehr Kinder und Jugendliche als in den vergangenen Jahren behandelt. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Stadtroda stiegen die Anfragen für stationäre und tagesklinische Behandlungen. Im Ökumenischen Hainich-Klinikum in Mühlhausen und im Helios-Klinikum in Hildburghausen seien bereits im vergangenem Jahr nahezu alle stationären Plätze in der Kinder- und Jugendpsychiatrie belegt gewesen. Auch in diesem Jahr sei das der Fall, heißt es aus den Kliniken. Die Wartezeiten für ambulante und stationäre Behandlungen würden oft ein halbes Jahr und länger betragen.

Essstörungen, Depressionen, Selbstmordgedanken

Neben Essstörungen und Depressionen leiden die Kinder vor allem an Angst- und Zwangserkrankungen. Die Zahl derer, die Selbstmord-Gedanken haben, hätte zugenommen, so Dr. Michael Kroll, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Asklepios Fachklinikum Stadtroda.

Auch kämen immer mehr Kinder und Jugendliche, die nicht mehr in die Schule gehen wollen, in die Behandlung. Es gebe immer mehr psychosomatische Erkrankungen wie etwa Bauchschmerzen, die keine körperlichen, sondern psychische Ursachen haben.

Der Body-Mass-Index sei gerade bei Jugendlichen rapide gestiegen, berichten die Mediziner. Die größten Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendlichen hätten die Einschränkungen beim Schulbesuch gehabt.

Mehr Misshandlungen und Missbrauchsfälle

Während der Lockdowns sei es nach Feststellungen der Mediziner zu mehr Kindswohlgefährdungen, Misshandlungen und Missbräuchen gekommen. Häusliche Gewalt und Verwahrlosung hätten zugenommen und auch selbst-verletzendes Verhalten sei weit verbreitet.

Von den Folgen der Pandemie und der Lockdowns seien alle Altersklassen betroffen, so Prof. Dr. Philip Heiser, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Südharz Klinikum in Nordhausen. „Vor allem ab dem Grundschulalter haben die psychischen Belastungen zugenommen und es sind vorrangig Kinder und Jugendliche betroffen, die während der Schulschließungen vor bevorstehenden Übergängen standen“, so Heiser. Mädchen seien tendenziell häufiger betroffen, ebenso Kinder und Jugendliche aus wirtschaftlich schlechter gestellten Familien.

Lange Wartezeiten auf Arzttermine

Noch sei unklar, wie lange es brauche, um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auf das Vor-Corona-Niveau zu verbessern. „Das wird sich die nächsten Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte hinziehen.“ sagte Daniel Busch, Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Ökumenischen Hainich-Klinikum in Mühlhausen. Die Situation verschärfe sich durch die langen Wartezeiten zusätzlich.

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