Die Entwicklung der Vereinstätigkeit der Thüringer und deren Zukunft: auf Spurensuche bei Vereinen, Verbänden und Verwaltungsbehörden.

Erfurt/Weimar/Gotha. Auf die Frage, warum er Geflügel züchtet, antwortet Gandolf Zacher prompt, "weil es Spaß macht". Dann zählt der zehnjährige Erfurter auf, was alles Spaß macht: Frühmorgens werden die Tiere gefüttert - gut, mit der Einschränkung, dass das während der Schulzeit der Papa übernimmt. An den Wochenenden ist das Reinigen der Ställe angesagt und kann schon mal vier Stunden dauern. Jeden Tag wird mehrmals nach den Tieren geschaut. Gegebenenfalls werden die Eier eingesammelt und in den Brutapparat verbracht. Und wenn die Küken geschlüpft sind, muss man sie alle paar Stunden füttern. Gandolf Zacher vertraut dabei nicht nur einem Spezialfutter, sondern zupft eigenhändig Brennnesselblätter, die er klein geschnitten beimengt. Zudem müssen Besuche des Tierarztes und verschiedene Impfungen organisiert werden. Von Oktober bis Ende Januar kommt die Teilnahme an regionalen und überregionalen Zuchtschauen dazu.

Und das alles macht wirklich Spaß? "Ja, klar. Wenn meine Tiere bei den Schauen gut abschneiden und Preise gewinnen, ist das schön", erklärt Gandolf Zacher mit einem Lächeln. Sein Papa Matthias Kluge streicht ihm mit der Hand über den Kopf. "Solange das Interesse da ist, kann er dem Hobby nachgehen", sagt der 37-Jährige, der einst selbst als kleiner Junge in das Hobby von seinem Vater eingeführt wurde. Matthias Kluge ist Mitglied im Rassegeflügelzuchtverein Erfordia Ilversgehofen 1920 e.V. und sorgt für ordentlich Vereinsnachwuchs: Gandolf ist im Verein, Gandolfs zwei Jahre jüngere Schwester Gloria ebenso und bald wird seine sieben Jahre jüngere Schwester Griselda folgen.

Im Hause Kluge-Zacher in der Sulzer Siedlung im Norden von Erfurt geht es fast zu wie auf einem Bauernhof. Haus, Grundstück und Stallungen bieten den Platz dazu. Gandolf, der vor zwei Jahren nur um einen Punkt am Europameistertitel in seiner Altersklasse vorbeischrammte, hat gut 30 Tiere in seiner Obhut und züchtet Hühner der Rasse Zwerg Phönix, Warzenenten und Niederländische Schönheitsbrieftauben. Die Zwerg-Phönix-Hähne mit den prächtigen, langen Schwanzfedern haben es Gandolf besonders angetan. Gloria hat zehn Seidenhühner in der Farbe Gelb. Die Tiere mit dem fast fellartig anmutenden Federkleid brachten der Jung-Züchterin ebenfalls schon einige Auszeichnungen ein. Außerdem gehören zum Hof Witwenpfeifgänse, Weiße Mandarinenten, Baikal­enten, Papageien, Katzen und ein Hund.

Vereine und Mitglieder werden immer weniger

72 Mitglieder zählt der Rassegeflügelzuchtverein Erfordia ­Ilversgehofen. 15 davon sind Jugendliche wie Gandolf und Gloria. Eine gute Quote, Nachwuchsarbeit die Hoffnung macht, möchte man meinen. Thomas Stötzer ist seit 2008 Vorsitzender des Landesverbands Thüringer Rassegeflügelzüchter und muss seither mit ansehen, wie Vereine und Mitglieder weniger werden: Ende Januar 2014 waren innerhalb der 28 Thüringer Kreisverbände in 461 Vereinen 6909 Mitglieder, die älter als 18 Jahre sind, organisiert. Das bedeutet einen Schwund von zwei Vereinen und 169 Mitgliedern im Vergleich zum Vorjahr.

Ein Vereinssterben kann Thomas Stötzer, der sich seit mehr als 40 Jahren der Rassegeflügelzucht verschrieben hat, nicht ausmachen. Foto: Klaus Fink
Ein Vereinssterben kann Thomas Stötzer, der sich seit mehr als 40 Jahren der Rassegeflügelzucht verschrieben hat, nicht ausmachen. Foto: Klaus Fink © zgt

Ein Vereinssterben kann Thomas Stötzer, der sich seit mehr als 40 Jahren der Rassegeflügelzucht verschrieben hat, nicht ausmachen. "Man muss das Ganze differenzierter sehen: Die Vereine existieren weiterhin. Die Mitglieder werden älter und weniger", so der 55-jährige Erfurter.

Akzeptanz für das Hobby schwindet

An folgenden Tatsachen hat man zu knabbern: Es gibt immer weniger Mehrgenerationenhaushalte. Die Akzeptanz in der Gesellschaft für das Hobby schwindet - nicht selten bieten schon krähende Hähne Anlass zu Nachbarschaftsstreitigkeiten. Zudem kommen zu wenig Jugendliche nach, weil das Angebot an Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche sehr groß ist. Man habe zwar aktive Jugendgruppen in denen immerhin 612 Jugendliche organisiert sind, "aber mit der Ausbildung oder dem Studium sind sie dann weg", sagt Thomas Stötzer und ergänzt: "Unsere Hoffnungen ruhen darauf, dass sie in die Vereine zurückkommen, wenn sie dann wieder sesshaft werden."

So, wie es zum Beispiel Matthias Kluge tat, der sein Hobby als Mittzwanziger wiederentdeckte und die Hingabe für die Rassegeflügelzucht nun nicht nur an seine Kinder, sondern auch an seine Lebensgefährtin Katrin Zacher weitergeben konnte. Und Gandolf kann sich durchaus vorstellen, dass er einmal in 30 Jahren an einem Tisch sitzt und dann seinem Sohn über den Kopf streicht, der mit leuchtenden Augen von der Rassegeflügelzucht berichtet. Den Rassegeflügelzuchtverein braucht Gandolf. Dort findet er Gleichgesinnte, dort findet er Anregungen, die ihn und seine Zucht weiter bringen. Seinen Klassenkameraden braucht er mit seinem Hobby nicht kommen.

Momentan werden in 1539 Thüringer Kleingartenanlagen kanpp 69.000 Gärten bewirtschaftet. Foto: Holger Hollemann/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Momentan werden in 1539 Thüringer Kleingartenanlagen kanpp 69.000 Gärten bewirtschaftet. Foto: Holger Hollemann/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++ © zgt

Es ist kein Geheimnis, dass Thüringen Einwohner verliert. Die neuesten Zahlen des Landesamtes für Statistik besagen, dass die Mitte Deutschlands pro Tag im Durchschnitt 33 Einwohner verliert. Ende September 2013 lebten gut 2,161 Millionen Menschen in Thüringen. Wie wirkt sich das auf die Vereine aus? "Die Demografie ist nicht das Problem. Man muss sich darauf einstellen", meint Wolfgang Preuß. Der Vizepräsident im Landesverband Thüringen der Gartenfreunde e.V. hat eine auf den ersten Blick erschreckende Zahl parat: Seit 1990 hat man in Thüringen 5000 Gärten verloren. Von einem Kleingarten-Sterben will der Altenburger dennoch nichts wissen. Momentan werden in 1539 Thüringer Kleingartenanlagen knapp 69.000 Gärten bewirtschaftet. "Die Leerstandsquote liegt bei drei bis vier Prozent", sagt Wolfgang Preuß. In Jena und Erfurt gebe es sogar Wartelisten auf freiwerdende Kleingärten.

Zwar werde die Altersstruktur demnächst noch stärker ins Gewicht fallen, zwar werde man nicht jede Kleingartenanlage halten können. "Aber in die Kleingartenanlagen, in denen sich was bewegt, gehen die Leute", so Preuß. Er beobachtet seit einiger Zeit, dass sich zunehmend junge Familien mit Kindern für eine Scholle interessieren. Und die wollen nicht nur in der Sonne liegen, sondern auch arbeiten. Die Drittelnutzung, die ein Drittel Obst und Gemüse, ein Drittel Zierpflanzen und Gräser sowie ein Drittel bauliche Anlagen im Kleingarten vorschreibt, schreckt keineswegs die Neu-Gärtner ab. "Kleingärten gehören zum Kulturgut", erzählt Wolfgang Preuß und als solches können sie durchaus auch kinder- und behindertengerecht sein.

Viel Arbeit hat Lothar Scholtes im Amtsgericht Erfurt. Er ist einer von zwei Rechtspflegern, die das Vereinsregister führen. Über 2800 Vereine sind in dem Vereinsregister für den Erfurter Bereich erfasst. 2400 Vereine sind davon am Leben. Die Bandbreite ist groß: Die großen Vereinsgruppen stellen die Sportvereine, Vereine mit karitativen Zwecken, die Spaßvereine und die Interessengemeinschaften dar. Fast wöchentlich kommt ein neuer Verein dazu. Lothar Scholtes bemüht seinen Rechner. Dann ruft er zwei Zahlen in sein Büro mit einer markanten, großen Fensterfront: "2013 gab es 47 neugegründete, eingetragene Vereine." Besonders im Winterhalbjahr nehmen die Vereinsgründungen zu. "Der Deutsche ist eben ein Vereinsmeier", weiß Lothar Scholtes aus seiner Berufserfahrung und schließt sich bei dieser Einschätzung mit ein: Der gebürtige Hesse ist Mitglied in diversen Vereinen: Feuerwehrverein, Tennisverein, Verein zur Förderung benachteiligter Kinder, Bayern-München-Fanclub und, ganz lokalpatriotisch, FC Rot-Weiß Erfurt.

Anzahl der Sportvereine hält sich konstant

Über eine rege Vereinstätigkeit kann auch Simone Torgau bilanzieren. Gut 1440 Vereine sind im Vereinsregister am Amtsgericht Gotha registriert. 1200 sind davon aktiv. Die Rechtspflegerin will einen kleinen Trend ausgemacht haben: Die Anzahl der Fördervereine für Schulen und für Dörfer steige in letzter Zeit an. Auch im Amtsgericht Weimar kann von einem Vereinssterben nicht die Rede sein. In der Klassikerstadt sind rund 940 Vereine aktiv. Gut 400 werden im Register als erloschen geführt. Rechnet man diese drei Stichproben auf alle 23 Thüringer Amtsgerichte hoch, dann sind mehr als 20.000 Vereine im Freistaat aktiv. "Ein Vereinsboom wäre nicht der richtige Ausdruck, aber die Anzahl der Sportvereine hält sich in den letzten Jahren konstant", sagt Silvia Otto vom Landessportbund Thüringen, einem Schwergewicht unter den eingetragenen Vereinen.

Unter dem Dach des Landessportbunds sind Sportfachverbände, Anschlussorganisationen, Kreis- und Stadtsportbünde sowie 3460 Sportvereine mit 366.750 Mitgliedern zusammengefasst. Letzteres entspricht rund einem Sechstel der Thüringer Bevölkerung. In den Statistiken taucht die Demografie natürlich auch auf: Von 2010 bis 2013 stieg zum Beispiel die Anzahl der über 70 Jahre alten Mitglieder von 18.300 auf 24.900 während im gleichen Zeitraum die Anzahl der unter 27 Jahre alten Mitglieder von 4700 auf 3700 sank. "Aber ein Vereinssterben können wir nicht feststellen", erklärt Silvia Otto.

"Wenn man sich als Verein kümmert, stirbt das Vereinsleben auch nicht"

Das verflixte siebte Jahr seines Vereinsbestehens hat der Sportverein Werra 07 Hildburghausen e.V. überstanden. 2007 fanden sich 20 Radsport-Fanatiker in der Südthüringer Kleinstadt Hildburghausen im beschaulichen Werratal zusammen. "Mittlerweile haben wir 52 Mitglieder: Wir sind leidenschaftliche Radsportler, Radtouristen, Mountainbiker, Triathleten und Läufer. Lediglich ein Mitglied haben wir seit Vereinsgründung wegen Umzugs verloren", erzählt Thomas Schmalz, Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender. Um den Verein beitreten zu können, muss man 18 Jahre alt sein. Nachwuchssorgen hat der SV Werra aber nicht. Mehr als die Hälfte der Mitglieder ist Jahrgang 1970 oder jünger. Das Erfolgsrezept beschreibt Thomas Schmalz kurz und knapp: "Wenn man sich als Verein kümmert, stirbt das Vereinsleben auch nicht", so der 41-Jährige. Gemeinsame Trainingsfahrten, Trainingslager im Ausland, Teilnahme an nationalen Wettkämpfen aber auch Ausfahrten für Breitensportler und Aktionen mit den Vereinsmitgliedern und deren Familien werden angeboten und wahrgenommen. "In diesem Jahr planen wir erstmals einen Tagesausflug mit den Vereinsmitgliedern und ihren Familien gänzlich ohne Fahrräder", erzählt Thomas Schmalz. "Natürlich kann sich nicht jeder mit gleicher Intensität in den Verein einbringen. "Einige sind beruflich so stark eingespannt, dass sie nur drei bis viermal im Jahr am Vereinsleben teilnehmen. Aber auch diese Vereinsmitglieder brauchen wir. Und zwar nicht nur, weil sie dem Verein Mitgliedsbeiträge bringen."

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