Es sei eine Katastrophe, was sich derzeit in Thüringens Wäldern abspielt, der Wald werde sterben. Das sagt Wolfgang Heyn vom Verband der Waldbesitzer.

Die Bäume leiden schon länger. Man kann das an den knubbeligen Stämmen und den schütteren Kronen erkennen. Harzspuren verkleben die rissige Rinde und erinnern an Tränenbäche. „Was sich derzeit in unseren Wäldern abspielt, ist eine Katastrophe. Der Wald stirbt“, sagt Wolfgang Heyn. Sein Blick geht zu den kahlen Flecken, auf denen Astleichen bräunlich schimmern. Dort, nicht weit von Ohrdruf entfernt, standen früher stramme Fichten, Lärchen und Kiefern. Der Sturm hat sie einfach weggerissen.

Der Wald stirbt sagt Wolfgang Heyn vom Verband der Waldbesitzer. 
Der Wald stirbt sagt Wolfgang Heyn vom Verband der Waldbesitzer.  © rathay | rathay

Der Geschäftsführer des Verbandes der Thüringer Waldbesitzer neigt nicht zur Panikmache. „Aber wir rechnen damit, dass in diesem Jahr wieder bis zu vier Millionen Kubikmeter Schadholz anfallen“, erklärt Heyn. Das sei nach einem extrem schwierigen 2019 noch einmal eine deutliche Steigerung. „Die Holzpreise sind seit Monaten im freien Fall — innerhalb von zwei Jahren haben wir einen Verlust von 60 Prozent zu verkraften“, so Heyn weiter. Neben dem Überangebot hat die Holzindustrie die Abnahme stark gedrosselt. Hinzu kommt, dass Nachbarländer wie Tschechien ebenfalls ihr Holz in den Markt drücken. Wurden früher 90 Euro für einen Kubikmeter gutes Sägeholz gezahlt, sind es jetzt nur noch 30 Euro. Und das schlechtere Holz findet immer häufiger keine Abnehmer. „Es gibt nicht wenige, die fordern, dass der Staat den Überschuss aufkaufen sollte, damit die Waldbesitzer die Sanierung der vom Borkenkäfer beschädigten Bestände fortführen können“, so Heyn. Und ganz so abwegig sei der Vorschlag nicht, wenn man will, dass unsere Wälder eine Zukunft haben.

Gebiete wie das Eichsfeld oderdie Fahner Höhe sind bald fichtenfrei

Alles begann mit der Dürre 2018. Das fehlende Wasser und die Hitze setzten den Thüringer Wäldern massiv zu. Den Rest erledigte der Sturm: „Frederike“ wirbelte im Januar 2018 in wenigen Minuten eine Million Bäume um – und bereitete dem Ungeziefer ein Festmahl. „Der Borkenkäfer schlägt immer dann erbarmungslos zu, wenn das Grün geschwächt ist“, weiß Heyn. Erst kamen die abgestorbenen Bäume dran – und von diesen breiteten sich Buchdrucker, Kupferstecher und Co. immer weiter aus. „Wenn sich die Entwicklung fortsetzt, werden Gebiete wie das Eichsfeld oder die Fahner Höhe bald fichtenfrei sein“, warnt Heyn. Dazu passt die düstere Prognose für dieses Jahr: Die warmen Märztage haben den Frühjahrsflug der Insekten wieder begünstigt, derzeit sind die Waldbauern dabei, die Bestände auf Borkenkäferbefall zu kontrollieren. Betroffene Bäume müssen sofort gefällt und aus dem Wald transportiert werden. „Das ist unter den jetzigen Umständen kaum zu schaffen.“

Eigentlich können die Fichten Widerstand leisten. Im Idealfall ertränkt der Baum das aufdringliche Tier ganz einfach mit seinem Harz. „Fehlt es aber an Niederschlag, wird zu wenig des Klebstoffes produziert.“ Die Fichte ist ein Flachwurzler. In trockenen Zeiten geht ihr eben deutlich schneller das Wasser aus. Und sie wird ein leichtes Opfer. Keine gute Nachricht für Thüringen, denn der Baum wächst auf fast 40 Prozent der hiesigen Waldfläche.

Ein neuer Wald muss her, da sind sich die Experten einig. Das dauert zwei, drei Generationen, weiß Forstingenieur Heyn. „In frühestens 30 Jahren kann man an eine erste Nutzung denken -- um wirklich gutes Sägeholz zu bekommen, dauert es rund 50 Jahre“, erklärt er. Aber es sei wichtig, dass der Waldumbau weiter vorangetrieben werde.

„Die Felder sind staubtrocken“

Die Buche war der Hoffnungsträger in Sachen Waldumbau

An einigen Stellen zeigen sich bereits erste Erfolge. Nur 200 Meter entfernt von den Bruchstellen, die „Frederike“ hinterlassen hat, recken sich ein paar Grünlinge hervor. Manchmal ist es Ahorn, manchmal Buche. Die anfälligen Fichten, die noch im Rund nahe Ohrdruf stehen, werden ihnen über kurz oder lang Platz machen müssen. „Wir brauchen gut durchmischte Wälder“, sagt Heyn. Er spricht von Strukturen, die dem Klimawandel standhalten können. Er spricht von Bäumen, die auch mal mit weniger Wasser auskommen können, wie etwa die Douglasie. Oder von Tannen, die mit ihren Wurzeln tief in den Boden eindringen. Ein Mix aus Dick und Dünn, Jung und Alt. „Und ja, in diesen Wäldern muss es auch Totholz und Platz für den Borkenkäfer geben“, so Heyn. Und dann wird der 65-Jährige wieder ernst: „Im Moment aber müssen wir um jeden gesunden Baum kämpfen, die Bestände erhalten“, so Heyn. Denn 85 Prozent des Waldes in Thüringen sind geschädigt.

Eigentlich war die Buche, die in Thüringen 20 Prozent des Bestandes ausmacht, lange Zeit ein Hoffnungsträger in Sachen Waldumbau. „Aber es hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass diese klimaplastische Baumart ebenfalls sehr streng auf die Trockenheit reagiert“, erklärt Heyn. Die Folge: Die Zweige treiben meist nur noch kleinste Blätter aus. „Und die Bäume sterben ab, ganz egal, ob im Wirtschaftswald oder in Gebieten wie dem Hainich.“

Editorial: Das grüne Herz ergraut

Ein Trend ist erkennbar: Zurück zur Natur

Der Wald hat seinen Preis. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn weder Borkenkäfer noch Holzüberangebot noch andere Widrigkeiten haben die Nachfrage nach Waldflächen gestoppt. Stattdessen haben sich die Preise in den letzten fünf Jahren in Thüringen verdoppelt. Die Käufer prüfen Lage, Zustand und Wuchs der Bäume. Und dann blättern sie zwischen 3000 und 10.000 Euro für einen Hektar auf den Tisch. In Spitzenlagen können es auch schon mal 12.000 Euro sein. Mittlerweile gibt es in Thüringen 200.000 private Waldbesitzer. Nicht wenige davon kommen aus der Stadt. „Diesen Trend zurück zur Natur beobachten wir schon eine ganze Weile“, erklärt Heyn. Und neben dem guten Gewissen hat man auch noch gleich Holz für den heimischen Kamin.

Daten und Fakten

  • In Thüringen gibt es 550.000 Hektar Wald, von denen 220.000 Hektar Privatwald sind.
  • 200.000 Hektar gehören dem Staat, 80.000 Hektar sind im Eigentum von Kommunen.
  • Thüringen ist mit durchschnittlich 0,9 Hektar pro Besitzer das Land mit der zweitkleinsten Durchschnittsfläche.
  • Häufigste Vorkommen im Thüringer Wald: 38 Prozent Fichte, 20 Prozent Buche, 14 Prozent Kiefer, 6 Prozent Eiche.