Stockholm. Opfer von Stalking bekommen oft nicht die Hilfe, die sie brauchen. Schweden will das nun ändern – und härter gegen Täter vorgehen.

Seit sechs Monaten wird Jennifer von einem fremden Mann verfolgt. Sie hat keine Ahnung, warum er das tut oder was er von ihr will, aber es beeinflusst ihr ganzes Leben. „Ich habe die ganze Zeit Angst – jederzeit könnte diese Person auf mich warten“, sagt sie. „Ich kann mich nicht konzentrieren, ich kann nicht richtig schlafen, es beeinträchtigt meine Beziehungen, meinen Appetit, meine ganze Psyche.“ Jennifer geht nur noch selten vor die Tür, eigentlich nur, wenn es unbedingt sein muss. Ein paar Mal wurde nachts bei ihr eingebrochen. „Man wünscht sich verzweifelt, davon befreit zu werden.“

Nachstellung – ein Begriff, der fast zu harmlos klingt für das Phänomen, das er beschreibt. In Schweden werden jedes Jahr rund 100 Personen wegen Stalkings verurteilt. Zu wenige, sagen Kritiker. Jennifer ist eine von denen, die mit einem Stalker leben müssen. Ihre Geschichte hat die Schwedin, die eigentlich anders heißt, dem Fernsehsender SVT erzählt.

Schwede: Expertin fordert mehr Hilfe für Stalking-Opfer

Das Gesetz, das Stalking verbietet, wurde in Schweden im Jahr 2011 eingeführt. Zehn Jahre später lag die Zahl der erfassten Stalking-Fälle bei 507 und damit auf dem niedrigsten Stand seit der Einführung des Gesetzes. Doch Susanne Strand, außerordentliche Professorin für Kriminologie an der Universität Örebro, reicht das nicht. Die Dunkelziffer sei viel höher, warnt Strand, die in Schweden als eine der führenden Experten auf dem Gebiet gilt. SVT sagte sie: „Man kann davon ausgehen, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung irgendwann einmal einem Stalker ausgesetzt waren.“

Jennifer hat sich an die Polizei, den Sozialdienst und ein Frauenhaus gewandt. Nirgends erhielt sie die Hilfe, die sie sich erhofft hatte. Stattdessen, sagt sie, werde von ihr erwartet, dass sie mit der Situation allein zurechtkomme. Nach Ansicht von Professorin Strand ist es gerade die Tatsache, dass Jennifer von einem Fremden verfolgt wird, die dazu führt, dass sie durchs Raster fällt. „Wenn man von einem Fremden schikaniert wird, hat man nicht die gleichen Möglichkeiten, Hilfe zu bekommen, wie wenn man von jemandem in einer engen Beziehung schikaniert wird“, so die Expertin.

Stalker sollen mit Fußfessel überwacht werden können

Strand ist der Meinung, dass es spezielle Aufnahmezentren geben müsste, an die sich die Opfer von Stalking wenden können. Solche „Stalking-Zentren“ würden auch eine Möglichkeit bieten, Daten und Fachwissen zu sammeln. Eine wichtige Aufgabe bestehe darin, Polizisten und anderes Personal noch besser auszubilden und für das Thema zu sensibilisieren. Stalking-Zentren gehören auch zu den Maßnahmen, die der schwedischen Gleichstellungsministerin Paulina Brandberg vorschweben. „Wir haben noch viel zu tun, wenn es darum geht, den Schutz für von Stalkern gefährdete Gruppen zu verbessern“, so die Ministerin im Gespräch mit SVT. „Dies ist ein komplexes Verbrechen, an das schwer ranzukommen ist.“

Opfer von Stalking und häuslicher Gewalt können verfügen, dass ihre Peiniger sich ihnen nicht mehr nähern dürfen. Doch nicht immer halten sich die Täter daran.
Opfer von Stalking und häuslicher Gewalt können verfügen, dass ihre Peiniger sich ihnen nicht mehr nähern dürfen. Doch nicht immer halten sich die Täter daran. © dpa | Maurizio Gambarini

In den meisten Fällen geht es beim Stalking Statistiken zufolge um Männer, die Frauen verfolgen. Oft ist das Rechtswesen machtlos. Deshalb will die bürgerliche Regierung in Stockholm die Möglichkeit prüfen, Stalkern elektronische Fußfesseln zu verpassen. Sie sollen es den Tätern erschweren, ihre Opfer zu verfolgen. Die Regierung habe eine neue Untersuchung eingeleitet, um die Wirksamkeit von Unterlassungsanordnungen zu verbessern. Geprüft werde, ob Stalker, gegen die eine einstweilige Verfügung vorliege, öfter zum Tragen einer Fußfessel verpflichtet werden könnten.

Auch andere Länder erwägen Überwachung für Stalker

Fußfesseln zur Überwachung entlassener Straftäter dürfen in Deutschland ebenfalls seit 2011 eingesetzt werden. Seit 2017 sind die Tracker außerdem für Gefährder – Menschen, denen jederzeit Gewalttaten zuzutrauen sind – zugelassen. 2021 trugen 140 Menschen in Deutschland eine Fußfessel. Die Forderung, elektronische Fußfesseln stärker als bislang gegen Stalker einzusetzen, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder von verschiedenen Parteien ins Spiel gebracht. Opferanwälte begrüßen den Vorstoß, denn die Zahl der erfassten Stalking-Fälle ist hierzulande nach Jahren der Regression seit 2020 wieder angestiegen. Im Jahr 2022 verzeichnete die Polizeistatistik rund 21.400 Fälle, 2011 waren es noch etwa 25.000. Der Tiefstwert lag 2017 bei 18.500 Fällen.

Auch in anderen Ländern der Welt sind Fußfesseln gegen Stalker bereits gängige Praxis. Schweizer Gerichten ist es seit Anfang 2022 erlaubt, potenziell Gewalt ausübenden Personen zusätzlich zu einem Kontaktverbot ein elektronisches Armband oder eine Fußfessel aufzuerlegen. Ein Gesetzentwurf in Südkorea von 2022 sieht sogar vor, dass verurteilte Stalker nach ihrer Entlassung bis zu zehn Jahre lang eine Fußfessel tragen sollen.