Berlin. In NRW wurden sieben tadschikische Terror-Verdächtige festgenommen. Sie kamen aus der Ukraine nach Deutschland. Was bisher bekannt ist.

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen hat am Donnerstagmorgen sieben Männer festgenommen. Sie sollen eine Terrorzelle in Deutschland gegründet haben und standen mutmaßlich mit IS-Terroristen im Ausland in Kontakt. Der Fall zeigt, wie gefährlich der Islamismus noch immer ist – auch wenn das Netzwerk durch Kämpfe und Razzien erheblich geschwächt wurde. Was wir über die Hintergründe der Terrorzelle wissen.

Festnahmen in NRW: Wer sind die mutmaßlichen Terroristen?

Die sieben Männer kommen ursprünglich aus Zentralasien, fünf von ihnen aus Tadschikistan, einer von ihnen ist Kirgise, ein anderer Turkmene, nach Informationen unserer Redaktion zwischen 20 und 45 Jahre alt. Auch in den Niederlanden nahm die Polizei ein tatverdächtiges Ehepaar fest. Doch in ihrer Heimat waren die mutmaßlichen Terroristen zuletzt nicht.

Sie reisten laut Generalbundesanwalt im Frühjahr 2022 aus der Ukraine ein, kurz nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs. Offenbar nutzten sie die Wirren und das Chaos dieser ersten Kriegswochen aus. Damals flohen Hunderttausende Menschen aus der Ukraine in die EU und auch nach Deutschland, vor allem über Polen reisten viele ein. Die Razzien gegen Ata A., Mukhammadshujo A., Abrorjon K., Nuriddin K., Shamshud N., Said S. und Raboni Z. fanden in Gelsenkirchen, Gladbeck, Düsseldorf und in einer Asylunterkunft in Nordrhein-Westfalen statt.

Einem Bericht der "Bild" zufolge sollen sie teilweise mit gefälschten Papieren und der Hilfe von organisierten Schleusern eingereist sein – auch, um gezielt Anschläge in Deutschland zu verüben. Offiziell bestätigt ist das von den Sicherheitsbehörden bisher nicht. Es ist aber ein Muster des IS, für Terroristen auch die Routen der Geflüchteten nach Europa zu nutzen. Bei den Anschlägen 2015 in Frankreich hatten Islamisten die Fluchtrouten über den Balkan genutzt.

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    Was wird den Männern aus Zentralasien vorgeworfen?

    Der Generalbundesanwalt (GBA) ermittelt und wirft den Männern Gründung und Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung vor. Sie sollen zudem Kontakt zur Terrorgruppe "Islamischer Staat" gehabt und diese unterstützt haben. "Ende Juni 2022 schlossen sie sich hier zu einer terroristischen Vereinigung zusammen, mit dem Ziel, in Deutschland öffentlichkeitswirksame Anschläge im Sinne des IS zu verüben", hält der Bundesanwalt fest. Zur Umsetzung ihres Vorhabens hätten die Beschuldigten bereits Anschlagsobjekte in Deutschland ins Auge gefasst und mögliche Tatorte ausspioniert. Nach Informationen unserer Redaktion hatte sich die Gruppe mehrfach getroffen, auch über Messengerdienste standen die Männer in Kontakt.

    Brisant wurde es für die Ermittler, weil sich die Gruppe offenbar bereits bemühte, Waffen für den Anschlag zu besorgen. "Ein konkreter Anschlagsplan bestand allerdings zum Zeitpunkt der heutigen Festnahme noch nicht." Für die Sicherheitsbehörden geht es bei dem Eingreifen immer um eine Gratwanderung: Wie lange sammeln die Ermittler noch Beweise? Oder wann müssen sie einschreiten, um einen Anschlag rechtzeitig zu verhindern?

    Wie gefährlich ist die Terrorzelle aus Zentralasien?

    Wie konkret die Gruppe vernetzt war und welche Waffen sie sich besorgen wollte, sind Teil der laufenden Ermittlungen. Doch ein Hinweis ist relevant: Die Gruppierung stand in Kontakt mit im Ausland befindlichen Mitgliedern des regionalen IS-Ablegers "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK). Der Festgenommene in den Niederlanden soll laut Ermittler sogar Mitglied beim IS sein. Der Generalbundesanwalt teilt zu den Beschuldigten in Deutschland mit: "Mit Ausnahme von Abrorjon K. sammelten die in Deutschland festgenommenen Beschuldigten zudem seit April 2022 Geld für den IS und transferierten dieses wiederholt zu der Vereinigung ins Ausland."

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      Wer ist der IS-Ableger "Islamischer Staat Provinz Khorasan"?

      Die Terrorgruppe "Provinz Khorasan" (ISPK/Wilayat Khorasan) wächst vor allem mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und ist "gegenwärtig der stärkste Ableger des Islamischen Staats (IS) weltweit", halten die beiden Wissenschaftler Guido Steinberg und Aljoscha Albrecht in einer Analyse von Anfang 2022 für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin fest. Immer wieder verübten die Terroristen dort zuletzt Attentate, etwa in der alten IS-Hochburg Nangarhar im Osten des Landes und in der Hauptstadt Kabul.

      Gegründet hatte sich ISPK bereits 2014 im Irak und wurde vor allem ab 2016 in Afghanistan immer attraktiver für ausländische Dschihadisten. Dort konkurrierte der IS-Ableger zu den radikalislamischen Taliban. "In Afghanistan besteht der IS mehrheitlich aus Pakistanern, Afghanen und Zentralasiaten", schreiben die Terror-Experten der SWP. Doch schon 2017 und 2018 gab es Hinweise, dass sich Dschihadisten aus Europa, vor allem Frankreich, auf den Weg an den Hindukusch machten, um sich dort dem IS anzuschließen.

      Und: Europa ist auch Terrorziel der Organisation. Im Frühjahr 2017 tötete ein Attentäter in Stockholm bei einem Anschlag fünf Menschen. Der Täter war Tadschike, hatte Kontakte zu einem Anführer des IS in Afghanistan. Und schon 2018 und 2019 hatten deutsche Ermittler Informationen über eine tadschikische Terrorzelle, die mit Kadern des "Islamischen Staates" in Afghanistan in Kontakt gestanden hatte.

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      Warum wirkt der Terror in Zentralasien so stark?

      Eine Woche vor der Bluttat in Stockholm 2017 zündete ein Attentäter Bomben in der U-Bahn in St. Petersburg. In der Silvesternacht erschoss ein Mann 39 Menschen in einem Nachtclub in Istanbul, im Sommer 2016 töteten Extremisten 43 Menschen am Flughafen von Istanbul. Alle Täter hatten – so wie die Zelle in Nordrhein-Westfalen jetzt – Verbindungen nach Zentralasien.

      In den Jahren der Hochphase des IS-Terrors sind Fachleuten zufolge mehrere Tausend Kämpfer von Zentralasien nach Syrien und Irak ausgereist. Somit gehörten Länder wie Usbekistan und Kirgistan zu den wichtigen Einzugsgebieten des IS. Nicht alle Zentralasiaten zog es zum IS – vor allem Usbeken kämpfen dort auch für konkurrierende Al-Qaida-Ableger wie etwa der "Islamischen Bewegung Usbekistan" (IBU).

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      Vor allem für Kriminelle sind die Terrororganisationen eine neue Heimat. Etliche, die bei der IBU oder dem IS kämpften, waren nach Ende der Sowjetzeit in kriminellen Netzwerken in Zentralasien aktiv, handelten mit gestohlenen Waren, Drogen oder Waffen. Zugleich sind Islamisten in der Region oftmals schon kampferprobt, wuchsen in gewalttätigen Konflikten auf. Islamisten mischten im Krieg in Tadschikistan mit, wo mehrfach Konflikte unter ethnischen Gruppen aufflammten, auch Willkür von Seiten des Staates gehören zum Alltag der Menschen in manchen Regionen von Tadschikistan oder Usbekistan. Es haben sich über die Jahre Gewaltkulturen etabliert.

      Zugleich fehlt jungen Menschen in der Region ein Angebot, das sie von kriminellen oder terroristischen Netzwerken fernhält. Das Bildungssystem ist unterfinanziert, der Arbeitsmarkt schwach. Viele junge Menschen aus Zentralasien zieht es zum Geldverdienen in Metropolen wie Moskau, wo sie oftmals in sozial prekären Lagen leben müssen.