Erfurt. Vor gut drei Jahren sorgte die Thüringer Arbeiterwohlfahrt für viele Negativ-Schlagzeilen. Doch sie hat die Chance, die in jeder Krise steckt, aus Sicht des Bundesverbandes gut genutzt.

Gut drei Jahre nach dem Skandal um überhöhte Gehälter, teure Dienstwagen und weitere Vergünstigungen für eine Handvoll Führungskräfte gibt sich die Thüringer Arbeiterwohlfahrt (Awo) selbstbewusst: Der Thüringer Awo-Landesverband hat sich nicht nur um die Ausrichtung der Bundeskonferenz 2025 beworben, er startet auch gemeinsam mit dem Bundesverband und den Bezirksverbänden Weser-Ems und Westliches Westfalen ein Forschungsvorhaben.

Suche nach Möglichkeiten und neuen Wegen

Dessen Gegenstand beschreibt Claudia Mandrych, seit November 2022 Bundesvorständin der Awo, so: „Wir wollen untersuchen, ob die Strukturen, in denen wir als Sozialverband mit über 100-jähriger Tradition unterwegs sind, noch zeitgemäß sind.“ Die Awo, die wie andere soziale Träger auch unter Mitgliederschwund leide, suche nach Möglichkeiten und neuen Wegen, den Verband wieder zu stärken. Mandrych erwartet sich konkrete Hinweise dazu, „wie wir die Verbandsstruktur in Zukunft aufstellen und wo Veränderungen vorgenommen werden sollten“.

Die neue Awo-Bundesvorständin Claudia Mandrysch (Mitte) besuchte jetzt den Awo-Landesverband Thüringen. Im Bild: Katja Glybowskaja, Geschäftsführerin von Awo AJS und Awo-Landesverband (links), und Petra Rottschalk, Awo-Landesvorsitzende.
Die neue Awo-Bundesvorständin Claudia Mandrysch (Mitte) besuchte jetzt den Awo-Landesverband Thüringen. Im Bild: Katja Glybowskaja, Geschäftsführerin von Awo AJS und Awo-Landesverband (links), und Petra Rottschalk, Awo-Landesvorsitzende. © Sibylle Göbel

Das zweijährige Forschungsvorhaben werde von zwei Professoren der Ruhr-Uni Bochum wissenschaftlich begleitet und sowohl von den beteiligten Verbänden als auch aus anderen Quellen, zum Beispiel Stiftungen, finanziert. Claudia Mandrych: „Ich würde mich freuen, wenn wir noch dieses Jahr damit starten können.“

Entwicklung gegen den bundesweiten Trend

Der Thüringer Landesverband sei trotz und gerade wegen der zurückliegenden Krisenjahre prädestiniert dafür, bei dem Projekt mitzumachen. Zum einen, weil er als jüngster Landesverband in Deutschland trotz des Skandals ein positives Mitgliederwachstum vorzuweisen habe – Landesgeschäftsführerin Katja Glybowskaja zufolge zählt er derzeit 11.700 Mitglieder. „Wir können zum anderen unseren eigenen Transformationsprozess der vergangenen drei Jahre, bei dem wir Unternehmertum und verbandliche Arbeit wieder enger zusammengeführt haben, einbringen.“ Glybowskaja spielt damit unter anderem auf die Tatsache an, dass das Tochterunternehmen Alten-, Jugend- und Sozialhilfe gGmbH (AJS) seit 2021 jährlich eine Million Euro an Zuwendungen für die Kreis- und Regionalverbände für gemeinnützige, verbandliche Projekte auszahlt.

Gesellschafterstruktur der AJS wird geändert

Zudem wird demnächst die Gesellschafterstruktur der AJS geändert und jede Gliederung an ihr beteiligt. Bislang halten der Landesverband 65 Prozent und der Kreisverband Erfurt 35 Prozent der Anteile. Die Struktur zu ändern hatte der Landesausschuss – eine Art kleiner Parteitag – bereits im Juli 2020 beschlossen. „Wir dachten damals, dass wir dafür vielleicht ein halbes Jahr brauchen“, sagt Awo-Landesvorsitzende Petra Rottschalk. Doch der Beteiligungsprozess, bei dem alles transparent und anders als früher nicht hinter verschlossenen Türen und in kleinen Runden abgesprochen werden soll, habe wesentlich mehr Zeit beansprucht. Eine Veränderung erfahre auch der AJS-Aufsichtsrat, dem künftig zwei Arbeitnehmervertreter als gleichberechtigte Mitglieder angehören sollen.

„In jeder Krise liegt eine Chance“, sagt Bundesvorständin Claudia Mandrych. Die Thüringer Awo habe sie genutzt – vor allem auch dank der „Kraftleistung“ von zwei starken Frauen: Petra Rottschalk und Katja Glybowskaja.

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