Stuttgart. Schlechte Umfragewerte, Ärger mit der Basis und nun auch noch wütende Bauern: Jetzt setzt der Parteichef auf eine einfache Rechnung.

Trillerpfeifen? Mistgabeln? Wut-Bauern? Fehlanzeige. Kein pöbelnder Mob, keine lärmenden Landwirte. Stattdessen stehen in Stuttgart an diesem Morgen rund 30 freundliche Bäuerinnen und Bauern mit drei ordentlich geparkten Traktoren vor der Oper. „Eine Katastrophe“, nennt Hans-Benno Wichert die Pöbelblockade gegen Robert Habeck. „Das ist nicht unser Protest.“ Sauer sind sie wegen der die Regierungspläne zu den Agrarhilfen trotzdem.

„Das macht uns wütend“, sagt Wichert. Er brüllt nicht, er sagt es ganz höflich. Wichert ist Vizepräsident des Landesbauernverbands und wer hört, wie er später mit FDP-Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer spricht, der kurz vor der Dreikönigskundgebung in der Oper zu den Bauern nach draußen gekommen ist, bekommt ein Lehrstück in Respekt.

„Schön, dass sie zu uns gekommen sind“, sagt Wichert. Und auch wenn Theurer nichts Konkretes verspricht, schütteln sie sich am Ende die Hände.

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Lindner warnt die Landwirte: Lassen Sie sich nicht instrumentalisieren

Die FDP ist traditionell beliebt bei den Landwirten, trägt aber jetzt die abgeschwächte Kürzung der Agrarhilfen mit. Und auch wenn die Liberalen gerne auf den grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zeigen, der ja auch woanders hätte sparen können: Irgendwo muss das Geld für Christian Lindners Haushalt ja herkommen.

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Der Finanzminister entscheidet sich an diesem Dreikönigstag für eine klare Ansage an die Landwirte: Er sehe die Sorge der Bauern. Aber: Die Attacke auf Habeck sei „völlig inakzeptabel“. Landfriedensbruch, Nötigung, Sachbeschädigung – „das sind Fälle für den Staatsanwalt“, warnt er die Landwirte, die von diesem Montag an bundesweit mit Blockaden gegen die Bundesregierung demonstrieren wollen.

Die Gesellschaft habe eine Verantwortung für die Landwirtschaft, die Landwirte aber hätten auch eine Verantwortung für die Gesellschaft. „Lassen Sie sich nicht instrumentalisieren. Sie haben sich verrannt. Bitte kehren Sie um.“

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Dreikönigstreffen der FDP: Strack-Zimmermann stiehlt allen die Show

Der FDP-Chef ist an diesem Morgen sichtbar angeschlagen. „Ich stehe hier heute mit etwas Fieber“, sagt er – und mit Blick auf seine Parteikollegin Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Sie braucht keinen Infekt, um auf Betriebstemperatur zu kommen.“ Es ist die 65-Jährige, die zum Start des Jahres in Stuttgart allen die Show stiehlt.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist die designierte Spitzenkandidatin der FDP bei der anstehenden Europawahl.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist die designierte Spitzenkandidatin der FDP bei der anstehenden Europawahl. © AFP | Thomas Kienzle

„Putin“, ruft sie kämpferisch ins Publikum, „hält die Europäer für komplette Weicheier.“ Das müsse sich ändern: Strack-Zimmermann, die die FDP im Frühjahr in die Europawahl führen wird, will die europäischen Werte notfalls militärisch verteidigen. Als eine friedensbewegte Zuhörerin sie unterbricht, wird sie erst recht wütend: „Hören Sie genau hin, wir reden hier in Freiheit.“ Ohne militärische Wehrhaftigkeit, da ist sie überzeugt: „Dann ist hier Ende im Gelände.“

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Sie wolle auch nicht, „dass wir uns in einem Jahr hier treffen und die Kacke am Dampfen ist“. Sie meint Alice Weidel und Sahra Wagenknecht. Es ist die große Sorge der Liberalen vor dem Siegeszug rechter und linker Populisten.

FDP: Das ist Lindners Hoffnungsformel für die Bundestagswahl

Die FDP dagegen steckt im Dauertief. Seit die FDP in der Ampel regiert, sind die Liberalen aus zwei Landesregierungen geflogen, in Berlin und Bayern sind sie nicht mal mehr im Parlament.

Und die Basis ist auch alles andere als begeistert: Am ersten Tag des neuen Jahres kam das Ergebnis der Mitgliederbefragung zum Verbleib der FDP in der Ampel – die Parteispitze, die für den Verbleib geworben hatte, kam gerade noch mit einem blauen Auge davon. Bei jeder Gelegenheit rechnen sie das jetzt vor: Eine knappe Mehrheit ist eine knappe Mehrheit. Klar, als Liberale sind sie mit knappen Sachen bestens vertraut.

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Dass sie bei der FDP gut rechnen können, ist nichts Neues. Neu ist, dass die Liberalen jetzt sogar eine eigene mathematische Formel entdeckt haben, man könnte es das Lindner-Kalkül nennen: Ein Jahr vor der Bundestagswahl liegen sie in Umfragen in der Todeszone der Fünf-Prozent-Hürde, am Wahlabend dagegen werden sie zweistellig.

Zweimal, 2017 und 2021, war das jetzt schon so. Die Liberalen hoffen nun, dass die Regel auch ein drittes Mal zutrifft – und wiederholen die Formel nun gebetsmühlenhaft. An irgendwas muss man sich ja klammern, denn mit den drei Landtagswahlen im Osten ist für die Liberalen wenig zu gewinnen. Und ob die Europawahl nicht auch in die Grütze geht, ist offen.

Was das Bild in Lindners Büro über die Lage der Liberalen sagt

In Lindners Büro im Finanzministerium hängt das passende Bild dazu hinter dem Schreibtisch: Ein Haus, das bis an die Dachkante eingeschneit ist, nur ein schmaler Pfad führt noch drumherum. Auch Lindner hat sich geradezu eingegraben in seiner stoischen Art, mit er die immer wiederkehrenden Fragen nach dem schlechten Abschneiden seiner Partei in Umfragen und Landtagswahlen beantwortet.

Ob er überhaupt noch Umfragen liest? Ja, das schon: „Aber ich lese diese Umfragen mit der Erfahrung von zehn Jahren Parteivorsitz. Zur Hälfte der vergangenen Legislaturperiode standen wir bei vier Prozent, bei der Wahl waren es dann elf.“ Das Auf und Ab gehöre zum Leben des Liberalen. Oder, um im Bild zu bleiben: Mal sind sie eingeschneit, mal taut es wieder.

Ende November saß Lindner genau in diesem Büro und dachte laut über die Sparideen für den Haushalt nach. Dass am Ende die Landwirte weniger haben würden, dürfte da bereits in den Runden im Kanzleramt diskutiert worden sein. Für einen langen Moment schaute er damals aus dem Fenster, als höre er schon die Trecker durch Berlin fahren. Am Montag werden sie kommen. Auch die freundlichen Bauern aus Stuttgart wollen dabei sein.