Apolda. CDU-Chef Merz ist auf Angriffskurs, sucht die Konfrontation. Am Aschermittwoch präsentiert er sich in Thüringen als künftiger Kanzler.

Es ist abends, kurz vor acht, Uhr in Apolda. Hunderte Heringe sind gegessen und wohl tausende Biere getrunken, als der Mann, der Deutschland regieren will, auf der Bühne in der großen Halle der Vereinsbrauerei steht. Ganz Deutschland, nein ganz Europa „schaut hier auf dieses Land“, auf Thüringen, ruft Friedrich Merz. Die Landtagswahl am 1. September werde „ziemlich endgültig“ sein. „Dann ist für fünf Jahre das Schicksal dieses Bundeslandes entschieden!“

Und dieses Schicksal, das dürfe nicht die AfD werden. Ein Sieg dieser Partei, gar ein Ministerpräsident namens Björn Höcke: „Das wäre eine Schande für Thüringen, und es wäre eine Schande für Deutschland!“ Der Beifall dröhnt. Etwa 1200 Menschen drängeln sich an den Biertischen, über denen die Fahnen im neuen, blassen CDU-Blau baumeln. Das hier ist, wie es der CDU-Landeschef Mario Voigt ausruft, der „größte politische Aschermittwoch nördlich des Weißwurstäquators“.

Merz kommt gerade aus Israel, wo er, als personifizierte deutsche Staatsräson, keinerlei Kritik am Vorgehen der Netanjahu-Administration in Gaza üben wollte. Im Gegenzug wurde er protokollarisch fast wie ein Kanzler behandelt.

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Merz verspricht Korrekturen bei Bürgergeld und Heizungsgesetz

In Apolda ist es nicht anders. Der Vorsitzende der CDU Deutschlands wird beim Einmarsch so gefeiert, als führte er bereits die Bundesregierung an. Aber noch ist es nicht so weit, noch muss Merz den Angreifer gegen die Ampel geben. „Haben die schon mal das Wort Mittelstand gehört?“, fragt er rhetorisch in den Saal. Er werde ja viel über Fachkräftemangel geredet – „aber den größten Fachkräftemangel haben wir auf der deutschen Regierungsbank!“ Das Publikum jubelt.

Friedrich Merz bei seiner Rede in Apolda.
Friedrich Merz bei seiner Rede in Apolda. © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

Dann folgt ein Versprechen. Wenn die CDU wieder regiere, dann werde all das korrigiert, was die Ampel durchgesetzt habe, das Bürgergeld, das Heizungsgesetz, überhaupt dieser ganze „übergriffige Staat“. Und dann würden auch die eigenen Fehler der Vergangenheit geheilt, ob nun beim Ausstieg aus der Atomkraft oder dem Aussetzen der Wehrpflicht.

Der Auftritt von Merz ist eine Rückkehr. Es war Ende Februar 2020, als er das letzte Mal in Apolda stand und den Spagat zwischen Aschermittwochspopulismus und Kanzlerbewerbungsrede versuchte. Immerhin kandidierte er das zweite Mal für den CDU-Vorsitz. Zudem wollte er die Landespartei aufmuntern, die kurz zuvor mit der AfD einen FDP-Ministerpräsidenten gewählt hatte und sich nun genötigt sah, den Linken Bodo Ramelow wieder zurück ins Amt zu lassen.

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Rückkehr am Aschermittwoch: Vier Jahre zwischen zwei Auftritten

„Apolda, das ist Deutschland, meine Damen und Herren!“, rief Merz damals. „Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg, das ist mitten in Deutschland!“ Seitdem sind vier Jahre vergangen, und sie haben diese Welt verändert, mit Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und zuletzt der Eskalation in Nahost. Auch die politische Lage in Deutschland ist eine völlig andere. Weil Armin Laschet, dem Merz in der Kandidatenkonkurrenz unterlag, die Bundestagswahl verlor, gibt es jetzt einen SPD-Kanzler in einer Regierung mit FDP und Grünen. Die Verbraucherpreise sind binnen zwei Jahren um fast 15 Prozent gestiegen, die Wirtschaft schwächelt und die AfD wirkt stärker denn je.

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Das alles ist in Apolda zu spüren, wo noch etwas sehr anders ist als früher: Der Gastgeber heißt erstmals nicht mehr Mike Mohring. Der frühere Landesparteichef ist zwar gekommen, aber er wird bei der Begrüßung nur nebenbei erwähnt und darf keine Rede halten. Kürzlich büßte er noch seine lokalen Ämter ein, weil eine Privatfeier mit Parteigeldern bezahlt worden war.

Der Abstieg Mohrings steht exemplarisch für den Abstieg der Landes-CDU, die einst Thüringen mit absoluter Mehrheit regierte. In den Umfragen wird sie nur bei gut 20 Prozent gehandelt. Damit liegt sie zwar vor der gelähmt wirkenden Linken, aber weit hinter der AfD, die mit etwa 35 Prozent führt. Damit umgehen muss Mohrings jahrzehntelanger Konkurrent Voigt, der nun die Landespartei nebst der Landtagsfraktion führt. Ende nächster Woche will die Partei die Landesliste wählen, mit ihm an der Spitze – damit er, was sonst, Ministerpräsident wird.

Voigt, der weder das Redetalent von Merz noch von Mohring besitzt, versucht es in Apolda mit Lautstärke und Parolen. „Wir sind die CDU Thüringen, darauf sind wir stolz, denn dieses Land braucht uns!“, ruft er. „Wir sind die Thüringenpartei!“

Mario Voigt hebt sein Glas:  „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir essen, was wir trinken und wie wir zu sprechen haben!“
Mario Voigt hebt sein Glas:  „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir essen, was wir trinken und wie wir zu sprechen haben!“ © FUNKE Foto Services | Sascha Fromm

Voigt: Willkommen in der „woke-freien Zone“

Danach bedient er das Feindbild, das aktuell auf jeder CDU-Veranstaltung funktioniert: „Liebe Grüne, lasst uns unsere Bratwurst, lasst und unsere Rostbrätel!“, ruft er. „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir essen, was wir trinken und wie wir zu sprechen haben!“ Denn hier, in Apolda, „hier stimmt das Deutschlandgefühl noch, hier ist woke-freie Zone, und so muss es auch bleiben!“

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Dann geht es frontal gegen die Ampel in Berlin, die „schlechteste Bundesregierung, die jemals gesehen wurde“, und natürlich gegen die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Erfurt, deren Minister aus Schwerin, Berlin oder Leipzig einpendelten. Wenn die CDU wieder das Land regiere, ruft Voigt, dann würden auch wieder Thüringer im Kabinett sitzen.

Schließlich ist er bei der AfD, mit deren Stimmen er zuletzt mehrere Gesetzesänderungen und Anträge gegen Rot-Rot-Grün durchgesetzt hatte. Aber das sei auch in Ordnung so: „Uns schreibt weder ein linker Ministerpräsident noch die AfD vor, was wir in den Landtag einbringen!“

Anschließend, so viel Ambivalenz muss eine Aschermittwochsrede dann halt aushalten, warnt Voigt mit donnernder Stimme vor dem „blaubraunen Weg“. Björn Höcke, „der Möchtegern-Führer“, sei „das größte Risiko für den Wohlstand in Thüringen.“ Und dagegen stünden bei der Landtagswahl allein er und die CDU – und nicht Ramelow.

Damit es auch jeder der vielen angereisten Hauptstadtjournalisten versteht, wiederholt auch Merz die Wunschinterpretation der Thüringer Verhältnisse. Die Auseinandersetzung in diesem Jahr finde allein zwischen AfD und CDU statt, und nicht mit „irgendjemanden, der gerade Ministerpräsident“ sei, ruft er. Und Mario Voigt besitze dabei seine „vollkommen uneingeschränkte Unterstützung“. Mike Mohring erwähnt Merz in seiner fast einstündigen Rede nicht.

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