Wilhelmshaven. LNG-Terminals an Nord- und Ostsee sind umstritten. Manche hoffen auf den Aufschwung, andere fürchten um Touristen – und wollen klagen.

Zwei Schiffe liegen dicht beieinander am Ende der 1,5 Kilometer langen Transportbrücke im weitläufigen Hafengelände von Wilhelmshaven. Der Blick auf die Ozeanriesen ist nur aus großer Entfernung erlaubt. Das dient der Sicherheit der Besucher, die sich auf einem Fahrgastschiff staunend einen Eindruck davon verschaffen, wie sich Deutschland aus der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen befreit. Denn hier wird Flüssiggas (LNG) angeliefert.

Die rund 280 Meter lange „Golar Seal“ hat 160.000 Kubikmeter amerikanisches Flüssiggas über den Atlantik gebracht und jetzt an der „Esperanza“ festgemacht. Das Spezialschiff dient als schwimmender LNG-Terminal, als so genannte „Floating Storageand Regasification Unit“ (FSRU). Seine Aufgabe besteht darin, das flüssige Gas wieder in seinen gasförmigen Urzustand zurückzuversetzen. Das Volumen sei erwärmt 600 Mal so groß wie im auf Tiefsttemperatur gekühlten flüssigem Zustand, erläutert Christian Janzen, der Projektleiter des Gasimportunternehmens Uniper, das das schwimmende Terminal betreibt.

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Wieder erwärmt wird das Gas über eine Pipeline an Land und schließlich ins deutsche Netz geleitet. Es ist nur eine Zwischenlösung aus der Krise heraus. Später soll ein Terminal an Land diese Aufgabe übernehmen. Große Pläne hat nicht nur das verstaatlichte Unternehmen Uniper. Auch Wintershall hat in Wilhelmshaven einiges vor, will Klimaschutz als Geschäftsmodell nutzen. Das Unternehmen plant, in der Industrie abgeschiedenes CO2 an die Küste zu transportieren und im einzigen Tiefseehafen Deutschlands in eine Pipeline zu drücken, die in die Speicherstätten in der norwegischen oder dänischen Nordsee führt.

LNG-Terminal: Wilhelmshaven und Brunsbüttel hoffen auf den Aufschwung

Wilhelmshavens Oberbürgermeister Carsten Feist macht eine Raucherpause vor dem Hotel. „Von dem LNG-Terminal haben wir erst einmal gar nichts“, sagt der parteilose Stadtvater. Die Betonung liegt auf „erst einmal“. Denn Feist sieht große Chancen für einen Aufschwung der strukturschwachen Region. Die Stadt mit 75.000 Einwohnern will aus dem Hafenareal einen „Energy Hub“ machen. Wasserstoff, CO2-Entsorgung, Gasanlieferung, Öl und rundum neue Industrien, die von der Nähe zur Energie profitieren können.

Carsten Feist (parteilos), Bürgermeister der Stadt Wilhelmshaven, sieht vor allem die Chancen für den Wirtschaftsstandort.
Carsten Feist (parteilos), Bürgermeister der Stadt Wilhelmshaven, sieht vor allem die Chancen für den Wirtschaftsstandort. © picture alliance/dp | Hauke-Christian Dittrich

Denn an Energie mangelt es nicht. In Wilhelmshaven kommt auch der Strom aus Offshore-Windanlagen an Land. Ein paar Tausend Arbeitsplätze könnten durch den Energy Hub dazu kommen, glaubt Feist. „Wir haben bezahlbare Wohnungen und eine gute Work-Life-Balance“, wirbt er um Fachkräfte. Tatsächlich ist Hamburg gut erreichbar, ebenso die ostfriesischen Inseln.

Knapp 80 Kilometer entfernt an der Elbe hat die Aussicht auf Energieimporte ebenfalls für Euphorie gesorgt. „Hier ist eine Boom-Situation entstanden“, sagt der Chef der Hafengesellschaft in Brunsbüttel, Frank Schnabel. Auch hier hoffen die Stadtväter auf einen Aufschwung durch die Krise. Als im Februar Bundesverkehrsminister Volker Wissing zu Besuch kam, wurden gerade die letzten von 3.000 Stahlröhren für die Pipelineanbindung des Terminals geliefert.

In „Deutschland-Geschwindigkeit“ sei das alles zustande gekommen, sagte Wissing (FDP) damals und schaute für die Fotografen wortwörtlich in eine Röhre. Die 18 Meter langen Stahlrohre hatte der Stahlkonzern Salzgitter in kurzer Zeit hergestellt und per Zug verschickt. Was man sah, waren vom Minister über den Landesminister bis hin zu den örtlichen Honoratioren zufriedene Gesichter.

Umweltschützer klagen, dass die Natur Schaden nehmen kann

Ein etwas anderes Bild eröffnet sich 293 Kilometer weiter östlich – in Lubmin, einem Seebad an der Ostsee. Die Fahrt führt bis fast an die polnische Grenze. Hier wird gerade das einst größte Kernkraftwerk Europas abgebaut. Nebenan im Industriehafen ankert ein SFRU und wartet auf den nächsten Flüssiggastanker. Die ohnehin wirtschaftliche schwache Ecke Vorpommerns lebte bislang ganz gut von der Energie. in Lubmin enden die Pipelines Nordstream 1 und 2 aus Russland, die wohl nie wieder in Betrieb genommen werden.

Fischer aus Baabe sehen ihre Existenz gefährdet. „Wenn wir in diese Gewässer nicht rein kommen, ist die Fischerei gestorben.“
Fischer aus Baabe sehen ihre Existenz gefährdet. „Wenn wir in diese Gewässer nicht rein kommen, ist die Fischerei gestorben.“ © picture alliance / Pitopia | Herbert Boekhoff

Aber es bestehen Rohranschlüsse, durch die das Gas aus dem Hafen nach Süd- und Ostdeutschland geleitet werden kann. Deshalb spielt der Standort in den Planungen der Bundesregierung weiterhin eine wichtige Rolle. Vom Strand in Lubmin aus kann man auf die Ferieninsel Rügen hinüberblicken. Dazwischen liegt der Greifswalder Bodden, eine flache Ausbuchtung der Ostsee.

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Umweltschützer sind besorgt, dass die Natur der Gegend durch die Gaswirtschaft Schaden nehmen könnte. Denn auf der Seeseite Rügens, im Industriehafen Mukran bei Sassnitz, entstehen zwei weitere LNG-Terminals. Das Gas soll nach der Erwärmung über eine Pipeline durch den Bodden zum Netzzugang in Lubmin geleitet werden. Das bringt die Insulaner, aber auch Umweltschützer mächtig auf. Seit Monaten demonstrieren, protestieren und meckern die Insulaner über die Pläne.

Rügen: Regionale Wirtschaft ist vom Tourismus abhängig

Ursprünglich sollte nicht weit vorm Seebad Sellin ein schwimmendes Terminal errichtet werden, gut sichtbar für die Badegäste. Die vom Tourismus abhängige Wirtschaft Rügens fürchtet seither, dass Reisende deshalb fern bleiben könnten. Die Stimmung ist gereizt. „Das was in 30 Jahren geschaffen wurde, ist wieder im Eimer“, befürchtet die Architektin Heike Nessler. Und Fischer Carl Heuer aus Baabe sieht seine Existenz gefährdet. „Wenn wir in diese Gewässer nicht rein kommen, ist die Fischerei gestorben.“

Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen. Ein schöner Anblick für Touristen ist das nicht.
Ein LNG-Shuttle-Tanker liegt vor der Küste der Insel Rügen. Ein schöner Anblick für Touristen ist das nicht. © picture alliance/dpa | Stefan Sauer

Dabei hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Pläne nun verändert. Nur in Mukran wird künftig LNG-Gas angeliefert. Das hat das Bundeskabinett inzwischen auch abgesegnet. Zuvor hatten Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Reinhard Meyer und Umweltminister Till Backhaus (beide SPD) in einem Brandbrief an Habeck eine Verschiebung der Entscheidungen gefordert, weil die Akzeptanz in der Bevölkerung fehle. Doch Habeck änderte auch nach einem Besuch vor Ort nur wenig.

Karsten Schneider, Bürgermeister des Seebads Binz, hat einen Bürgerentscheid über die Pläne angekündigt und will auch dagegen klagen. „Stopp LNG“, heißt es auf den Plakaten von Demonstranten gegen das Terminal. Alleine sind sie nicht. Mehr als 60.000 Unterschriften gingen für eine Petition beim Bundestag ein. Nun muss sich das Parlament mit der schwierigen Situation der Rügender beschäftigten. Weder ein zweiter Besuch Habecks noch einer vom Bundeskanzler selbst haben an der Ablehnung etwas ändern können.

Grund sind nicht nur wirtschaftliche Ängste: Die Terminals könnten auch den Fischzug beeinflussen und Vögel durch den permanenten Geräuschpegel vertreiben. Naturschützer sehen die einzigartige Landschaft in Gefahr, zum Beispiel den nahen Nationalpark Jasmund mit den berühmten Kreidefelsen. An der Nordsee ist die Lage ganz anders. Oberbürgermeister Feist ist froh, dass sich eine Alternative für das bisher von fossilen Energien geprägte riesige Industrieareal eröffnet. Es gibt etwas zu gewinnen. Das unterscheidet die Nordseestandorte von der Ferieninsel Rügen.