Berlin. Nicht nur in den USA beobachten Experten einen von TikTok und Co. beeinflussten Trend. Er könnte Folgen haben, auch für die Psyche.

Das Mädchen dürfte etwa acht Jahre alt sein. Es trägt ein pinkfarbenes Makeup-Haarband. Nach und nach hält es Hautpflegeprodukte in die Handykamera, die es angeblich täglich benutzt. Hier eine Flasche, dort einen Tiegel. Das Kind hat Schwierigkeiten, die Behälter zu öffnen. Im Hintergrund ist die Mutter zu sehen. Sie lächelt.

In einem anderen Video, ebenfalls veröffentlicht auf der Social Media-PlattformTikTok, zeigt eine Mutter die „morgendliche Hautpflegeroutine“ ihrer Tochter. Diese heißt Evy. Sie soll drei Jahre alt sein, trägt Zöpfe und sitzt im Schlafanzug vor der Kamera. Schmiert ihre Mutter Evy die Produkte ins Gesicht, schneidet das Mädchen Grimassen.

Schminken, pflegen und präsentieren: Eine schwedische Apothekenkette hat eine Altersbeschränkung für den Verkauf von Kosmetik-Produkten eingeführt.
Schminken, pflegen und präsentieren: Eine schwedische Apothekenkette hat eine Altersbeschränkung für den Verkauf von Kosmetik-Produkten eingeführt. © iStock | Elena Gurova

Die Videos stammen aus den USA. Und sie passen zu einem Trend, über den US-Hautärztinnen und Hautärzte berichten. Schon kleine Kinder interessierten sich für Pflegeprodukte. „Die Arztbesuche wegen Hautreaktionen durch den falschen Gebrauch der Produkte haben zugenommen“, sagt Dermatologe Danilo Del Campo der Nachrichtenagentur AFP.

Instagram, TikTok und Co: Soziale Medien befeuern Beauty-Trend bei Kindern

Schätzungen zufolge machen Hersteller in den USA fast eine halbe Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr mit Kosmetik für Säuglinge und Kinder. Doch nicht nur dort wird von steigenden Verkaufszahlen berichtet, die sich vor allem durch die Sozialen Medien speisen. Auch in Schweden, berichtet der Fernsehsender SVT, kaufen immer mehr Kinder Kosmetik. Bereits mehr als 20 Prozent ihrer Kundinnen seien jünger als 13 Jahre alt, erklärte ein Kosmetikhändler auf Anfrage des Senders.

„Apotek Hjärtat“, eine schwedische Apothekenkette mit fast 400 Filialen, hat jetzt sogar eine Altersbeschränkung für Anti-Falten-Produkte eingeführt. Sie werde den Verkauf von Glykol- oder Salicylsäure, Retinol oder mechanischen Peelings an Kundinnen und Kunden unter 15 Jahren einstellen, sagte Chefapothekerin Annika Svedberg dem Sender.

Das gelte für die Läden ebenso wie für die Online-Shops. Ausnahmen gebe es für Kinder, die die Zustimmung ihrer Eltern hätten oder eine nachgewiesene Hauterkrankung. Sie sei besorgt darüber, dass bereits Kinder Anti-Falten-Pflege verwendeten oder dazu ermutigt würden, so Svedberg weiter. Dies könne ungesunde Pflegeroutinen und -ideale verstärken. „Die Altersgrenze gibt uns die Möglichkeit, sowohl Eltern als auch Kindern Ratschläge zu gesunden Hautpflegeroutinen zu geben, die auf Bedürfnissen und nicht auf Idealen basieren“, so Svedberg.

Kosmetik bei Kindern: Expertin kritisiert das transportierte Rollenbild

Kosmetik für ganz junge Haut also: Dermatologen wie Danilo Del Campo warnen. Doch nicht nur sie sind alarmiert. Auch für gesellschaftliche Rollenbilder könnte der Kosmetiktrend Folgen haben, sagt Solène Delecourt, Forscherin von der Berkley University in Kalifornien (USA). Die Kosmetik-Videos mit und von Kindern und Jugendlichen in den Sozialen Medien trügen zu stereotypen Darstellungen bei und setzten bereits kleine Mädchen einem starken sozialen Druck aus, so Delecourt zur AFP.

Dass soziale Medien und deren Inhalte auch Körperwahrnehmung oder Essverhalten junger Menschen beeinflussen können, weiß Psychotherapie-Forscherin Prof. Katrin Giel von der Universitätsklinik Tübingen. Anlässlich des Jahreskongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hat sie die Studienlage ausgewertet.

„Junge Menschen, die sehr viel in sozialen Netzwerken unterwegs sind, haben ein höheres Risiko, eine psychische Erkrankung zu entwickeln, Abhängigkeit zum Beispiel oder auch Unzufriedenheit mit ihrem Körper“, sagt Giel. „Dieser Zusammenhang ist empirisch gut belegt.“

Psychotherapie-Forscherin: Eltern sind Vorbilder

Darüber hinaus gebe es deutliche Hinweise dafür, dass Menschen, die in jungen Jahren nach Bestätigung strebten, dazu bereit seien, ihr Verhalten anzupassen, um ein Körperbild zu erreichen, das in den Sozialen Medien als Ideal transportiert werde, so Giel. Dies könne sie mit Sicherheit fürs Essverhalten sagen, es gelte wahrscheinlich aber auch für Hautpflege und Kosmetik.

Für Eltern und Erwachsene leitet die Wissenschaftlerin daraus mehrere Empfehlungen ab: Diese sollten sich für die Inhalte interessieren, die ihre Kinder in Sozialen Medien konsumierten und sich auch mit der Nutzungsdauer und dem eigenen Verhalten auseinandersetzen. „Eltern müssen sich im Klaren darüber sein, dass sie Vorbilder sind für ihre Kinder“, sagt Giel.

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Dies gelte sowohl für die Mediennutzung, aber auch fürs Körperbild: „Wenn ich als Mutter oder Vater ständig thematisiere, dass ich meinen Körper unattraktiv finde und ich, übertrieben gesagt, nicht mal ungeschminkt zum Briefkasten gehen kann, ist es schwer für Kinder, eine gute Einstellung zu ihrem Körper zu entwickeln.“