Berlin. Die Stimmung ist mies. Jetzt geht die Bundesregierung in Klausur. Bei welchen Streitthemen es Fortschritte geben könnte – und wo nicht.

Der Kanzler gab sich locker und gut gelaunt. Die Welt mag durch Pandemie und Krieg aus den Fugen geraten sein, die Berliner Koalition kommt aus dem Streiten kaum heraus. Doch Olaf Scholz blickt nach vorn. „Wir werden zunächst einmal darüber reden, wie eine Gesellschaft, die so viel vor sich hat, zuversichtlich sein kann und bleiben kann“, sagte der Sozialdemokrat am Sonntagnachmittag zum Auftakt der Klausur seiner Bundesregierung auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin.

Bis einschließlich Montag wollen Scholz und seine Minister im Brandenburgischen fernab des Berliner Regierungsviertels tagen. Solche Klausuren dienen dem Zweck, ohne Zeitdruck über Themen zu sprechen, die über den Tag hinausreichen. Am Sonntag ging es um die wirtschaftlichen Perspektiven Deutschlands und Europas unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, zu Gast war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Am Montag stehen unter anderem die Themen Energiewende und Künstliche Intelligenz auf der Tagesordnung.

Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) eröffnet im Gästehaus der Bundesregierung die Klausurtagung des Bundeskabinetts.
Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD) eröffnet im Gästehaus der Bundesregierung die Klausurtagung des Bundeskabinetts. © dpa | Soeren Stache

Ampel-Koalition in Meseberg: Habeck hofft auf Versöhnung

Aber wie das nun einmal so ist bei Treffen dieser Art: So ganz lässt sich die Tagespolitik dann doch nicht außen vor halten. Häufig dominiert sie sogar die Debatten. In der Ampel-Koalition gib es einen enormen Rede- und Abstimmungsbedarf. Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte vor Beginn des Treffens unserer Redaktion: „Wir arbeiten fachlich gut und effizient. Und das persönliche Einvernehmen ist auch gut und intakt. Aber selbstkritisch muss man sagen, manchmal stehen wir uns selbst etwas im Weg. Ich hoffe, dass Meseberg uns Zeit und Raum gibt, mal einen Blick auf die strategische Zusammenarbeit zu werfen und das Gemeinsame zu finden.“

Es gibt in der Ampel jede Menge Konflikte – und viele davon dürften in Meseberg zumindest außerhalb des Protokolls zur Sprache kommen. Ein Überblick.

Regierungskoalition uneins: FDP verteidigt den Verbrenner

Verbrennungsmotor und E-Fuels: Die Europäische Union will bis 2050 klimaneutral werden. Unter anderem ist geplant, ab 2035 den Verkauf neuer Verbrennerautos mit Benzin- oder Dieselantrieb zu untersagen. Es gibt dazu im Prinzip einen Konsens zwischen Mitgliedstaaten, EU-Parlament und Brüsseler Kommission. Die FDP, angeführt von Parteichef und Finanzminister Christian Lindner, droht jedoch, auszuscheren. Sie will erreichen, dass weiter Verbrenner verkauft werden dürfen, sofern diese mit klimaneutralen Kraftstoffen (E-Fuels) angetrieben werden.

Findet die Bundesregierung keine einheitliche Position, müsste sie sich bei der abschließenden Abstimmung über das Verbrennverbot im EU-Ministerrat enthalten. Auf den letzten Metern könnte das Projekt dadurch noch scheitern. Eigentlich sollte die Abstimmung bereits am kommenden Dienstag stattfinden. Sie wurde aber auf unbestimmte Zeit vertagt. Nun ist die EU-Kommission am Zug, einen Vorschlag zu den E-Fuels zu unterbreiten. Am Sonntag war zunächst unklar, wie sich Behördenchefin von der Leyen in Meseberg zu diesem Thema einlassen würde.

Nächster Streitpunkt: Neue Autobahnen für Deutschland

Autobahnen und Infrastruktur: Auch bei diesem Thema tritt die FDP rustikal auf – insbesondere zum Ärger der Grünen. Die Koalition ist sich einig, dass Infrastrukturprojekte wie der Bau von Bahnlinien oder Stromleitungen deutlich beschleunigt werden sollen. Die Liberalen pochen aber darauf, dass auch Autobahnen schneller gebaut werden müssen. Für die Grünen ist das ein rotes Tuch.

Es ist kaum anzunehmen, dass es bei der Kabinettsklausur in Meseberg Bewegung bei diesem festgefahrenen Konflikt geben wird. Später im März soll ein Koalitionsausschuss stattfinden, um das Thema abzuräumen. Hinter den Kulissen arbeiten Minister und Parteispitzen an einer Lösung, was aber ausgesprochen kompliziert ist. Möglicherweise verständigen sie sich auf eine Art Positivliste von Bauprojekten, die alle Partner gesichtswahrend mittragen können.

Angespannte Stimmung zwischen Habeck und Lindner

Klimaschutz und Gasheizungen: Das ist der neueste Aufreger innerhalb der Berliner Ampelkoalition. Sie hatte in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass ab 2025 aus Gründen des Klimaschutzes möglichst keine neuen Gas- und Ölheizungen in Häuser mehr eingebaut werden sollten. Vor einem Jahr verständigte sie sich unter dem Eindruck des russischen Angriffs auf die Ukraine und drohenden Gasmangels darauf, dies auf 2024 vorzuziehen. Nun liegt ein erster Referentenentwurf aus dem Haus von Wirtschaftsminister Habeck dazu vor – den die FDP als übertrieben zurückweist. Auch dieses Streitthema dürfte der Koalition über die Kabinettsklausur hinaus erhalten bleiben.

Haushalt und Schuldenbremse: Im Moment laufen die Vorverhandlungen der Ministerien für den Bundeshaushalt 2024. Finanzminister Lindner will seine Eckpunkte Mitte März vorlegen. Und unbedingt wieder die Schuldenbremse einhalten, nachdem dies im laufenden Jahr nur mit einem tiefen Griff in die Trickkiste möglich sein wird. Lindners Kabinettskollegen wollen mehr Geld, was der Finanzminister zurückweist. Auch Steuererhöhungen lehnt er ab. Die Extra-Wünsche der anderen Minister sollen sich auf 70 Milliarden Euro summieren. Gesetzt ist offenbar nur, dass die Bundeswehr mehr Geld erhalten soll.

Wie blank die Nerven liegen, zeigte kürzlich ein äußerst unfreundlicher, an die Öffentlichkeit lancierter Briefwechsel zwischen Lindner und Habeck. In Ampel-Kreisen wurde zuletzt aber die Hoffnung geäußert, dass die Koalition in Meseberg im Haushaltsstreit vorankommen könnte.

Kindergrundsicherung oder Aktienrente: Das Geld reicht nicht für alle Wunschprojekte

Familie und Soziales: Die Koalition will ab 2025 sämtliche Geldleistungen für Familien zusammenfassen – Kindergeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten. Die neue „Kindergrundsicherung“ soll automatisch ausgezahlt und damit mehr Familien zugänglich gemacht werden. Strittig ist, ob für das Projekt von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) auch mehr Geld vonnöten ist.

Der Deutsche Caritasverband warnte bereits, die Kindergrundsicherung drohe „im Kleinklein der Haushälter zu zerbröseln“. Verbandspräsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa sagte unserer Redaktion: „Wenn die Familienleistungen alle Berechtigten erreichen sollen, geht das nicht zum Nulltarif.“ Aktuell sei das nur bei einem Bruchteil der Berechtigten der Fall. „Wenn die Regierung mit einem Garantiebetrag und sozial gestaffelten Zuschlägen unbürokratisch junge Familien erreichen will, muss dafür Geld im Bundeshaushalt bereitgestellt werden.“

Auch in einer anderen sozialpolitischen Frage knirscht es: Finanzminister Lindner treibt das Projekt einer Aktienrente voran. Geplant ist, nach und nach einen Kapitalstock aufzubauen. Dessen Erträge sollen später dabei helfen, die gesetzliche Rente bezahlbar zu halten. In diesem Jahr fließen zehn Milliarden Euro in die Aktienrente – auf Pump. Unklar ist, ob die Finanzierung aus dem Haushalt verstetigt wird. Die FDP möchte am liebsten auch Beitragsmittel in den Kapitalstock lenken, was insbesondere die SPD strikt ablehnt. Auch hier dürfte es in Meseberg kaum zu einer Einigung kommen.