Berlin. Das Kabinett hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das mehr Radwege und Tempo-30-Zonen ermöglichen soll. Nun kommt es auf die Städte an.

Es könnte der Anfang vom Ende der uneingeschränkten Dominanz des Autos in den deutschen Städten werden: Das Bundeskabinett hat am Mittwoch eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes auf den Weg gebracht. Kommunen sollen deutlich mehr Möglichkeiten bekommen, um beispielsweise Radwege oder Tempo-30-Zonen auszuweisen. Das soll auch dem Klimaschutz dienen. „Damit ermöglichen wir neue Entscheidungsspielräume vor Ort, ohne die Interessen des Straßenverkehrs zu vernachlässigen“, sagt Verkehrsminister Volker Wissing (FDP). Ein Überblick.

Sagt die Ampel dem Auto in den Städten den Kampf an?

Der Bund hat nicht zu entscheiden, wie Städte und Gemeinden den Verkehr bei sich organisieren. Das liegt außerhalb seiner Kompetenzen. Die Koalition will die Kommunen aber in die Lage versetzen, bei der Verkehrsplanung stärker als bisher Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung zu berücksichtigen. Bisher steht die „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ im Mittelpunkt. Der Verkehr soll vor allem sicher sein und fließen. In der Praxis zementiert dies häufig die Dominanz des Autos, die Umverteilung des Straßenraums zugunsten von Fußgängern oder Radfahrern wird erschwert.

Autos stehen in der Innenstadt im Stau: Viele Kommunen tun sich schwer damit, den Nah- und Radverkehr auszubauen.
Autos stehen in der Innenstadt im Stau: Viele Kommunen tun sich schwer damit, den Nah- und Radverkehr auszubauen. © dpa | Marijan Murat

Was genau hat die Bundesregierung jetzt beschlossen?

Das Kabinett brachte am Mittwoch eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes auf den Weg, die noch von Bundestag und Bundesrat beschlossen werden muss. Die Regierung hofft, dass das noch in diesem Jahr geschieht. Überdies bedarf es noch einer Anpassung der Straßenverkehrsordnung, die die künftigen Befugnisse der kommunalen Behörden im Detail regelt. Dazu hat das Kabinett jetzt nur einen Entwurf zur Kenntnis genommen, über die Einzelheiten muss der Bund noch mit den Ländern verhandeln. Bereits in ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP festgelegt, dass sie die „Entscheidungsspielräume“ der Kommunen und Länder in Verkehrsfragen vergrößern wollen.

Lesen Sie mehr: SUV-Fahrer kontra Lastenrad-Besitzer? Das muss nicht sein

Welche praktischen Auswirkungen wird die Reform haben?

Kommunen und Straßenbehörden, die das wollen, können künftig zum Beispiel leichter einen Fahrstreifen auf einer Straße für den Autoverkehr sperren und dort einen Radweg, eine Busspur oder einen Fußgängerweg einrichten. Dies ließe sich etwa dadurch begründen, dass auf diese Weise die Umwelt und das Klima geschont werden. Das Verkehrsministerium von Minister Wissing erläutert: „Solche Anordnungen müssen nicht – wie bisher – auch der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienen. Diese Belange müssen aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die für alles Verwaltungshandeln gilt, berücksichtigt werden.“

Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne), der den Gesetzesvorschlag gemeinsam mit Wissing erarbeitet hatte, sagte am Mittwoch: „Städte und Gemeinden erhalten nun endlich den Gestaltungsspielraum, den sie brauchen, um Umwelt- und Klimaschutz ein höheres Gewicht einzuräumen, für lebenswerte Wohngebiete zu sorgen und Fuß-, Rad- und Bahnverkehr zu fördern.“

Was passiert im Hinblick auf Tempo-30-Zonen?

Deren Anordnung wird erleichtert – und zwar vor Spielplätzen, an hochfrequentierten Schulwegen, an Fußgängerüberwegen und an Streckenabschnitten bis zu 500 Meter zwischen zwei existierenden Temp-30-Zonen. Das soll dem Verkehrsfluss dienen. Minister Wissing ist die Feststellung wichtig, dass es in Deutschland aber bei der Regelgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern innerorts bleibt.

Aus zahlreichen Kommunen kommt Druck, die Hürden für die Anordnung von Tempo-30-Zonen noch weiter zu senken. Dafür tritt die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ein. Ihr gehören inzwischen fast 800 Kommunen und Landkreise an, die sich eine konsequente Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben haben. Darunter sind auch Städte wie Berlin, Frankfurt am Main, Köln, Dortmund, Hannover, Braunschweig, Erfurt und Leipzig.

Werden sämtliche Kommunen von ihren neuen Möglichkeiten Gebrauch machen?

Zunächst müssen die Gesetzespläne einmal durchs Parlament. Ob die Kommunen die Spielräume dann tatsächlich in der Breite nutzen werden, muss man abwarten. Auf jeden Fall wird es schwerer für Städte und Gemeinden, die Vorherrschaft des Autos auf den Straßen mit Verweis auf die geltende Rechtslage zu verteidigen. Ein sanfterer Verkehr, der stärker die Belange von nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern berücksichtigt, dürfte noch mehr als bisher Gegenstand von Debatten in den kommunalen Parlamenten und Wahlkämpfen werden.

Wie reagieren die Kommunen auf die Reformpläne?

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte ausdrücklich die Stoßrichtung, fordert aber weitere Klarstellungen. „Die bisherigen Anforderungen, damit Kommunen Tempo 30, Fußgängerüberwege oder andere Maßnahmen im Straßenverkehr umsetzen können, sind unzureichend und aus der Zeit gefallen“, heißt es in einer Stellungnahme des Verbandes. „Der nun vorliegende Gesetzesentwurf kann die Grundlage dafür bilden, dass die Kommunen mehr Handlungsfreiheit für mehr Klimaschutz, Verkehrssicherheit, Gesundheitsschutz erhalten.“

Die Linke ging am Mittwoch Minister Wissing frontal an, weil dieser immer noch an der Regelgeschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde festhält. „Dass es innerorts immer noch keine Regelgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde gibt, ist ein großer Fehler“, sagte Linken-Chef Martin Schirdewan. Der Verkehrsminister wisse offenbar nicht, dass er für alle Verkehrsteilnehmer zuständig sei.