Erfurt. Eine Familie ist auf der Flucht aus der Ukraine, als es auf der Autobahn nahe Erfurt zu einem Unfall mit furchtbaren Folgen kommt. Nun hat ein Gericht das Urteil gefällt. Eine Frage bleibt aber auch danach offen.

Ein Wagen prallt auf der Autobahn bei Erfurt auf ein anderes Auto, ein sechsjähriges Kind aus der Ukraine stirbt. "Das Mädchen, das durch den Unfall getötet wurde, hatte das Leben noch vor sich", sagte die Vorsitzende Richterin am Mittwoch im Prozess am Amtsgericht Erfurt. Sie verurteilte den 62-jährigen Unfallverursacher wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit dreifacher Körperverletzung - und zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 60 Euro.

Abgestelltes Auto offensichtlich zu spät wahrgenommen

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann im Mai 2022 auf der Autobahn 4 bei Erfurt mit seinem Auto auf den Wagen der Familie des Mädchens prallte. Zuvor hatte die Mutter des Kindes ihr Auto auf dem Standstreifen abgestellt und die Warnblinker betätigt, weil der jüngere Bruder des Mädchens über Atemnot klagte, wie es in der Urteilsbegründung weiter hieß. Der Angeklagte sei aus ungeklärter Ursache auf dem Standstreifen gefahren und habe das abgestellte Auto offensichtlich zu spät wahrgenommen, so die Richterin. Auch eine Vollbremsung und der Versuch auszuweichen, wie es ein Gutachten nahelegt, hätten den Unfall nicht mehr vermeiden können.

Infolge des Unfalls wurden die Mutter schwer, der Vater und der jüngere Bruder leicht verletzt. Das sechsjährige Mädchen starb später im Krankenhaus an einem Schädelhirntrauma. Die Familie war auf der Flucht aus der Ukraine auf der Autobahn unterwegs gewesen, wie etwa Rechtsanwalt Juri Goldstein sagte. Er vertrat den Vater des Mädchens, der als Nebenkläger angereist war.

Die Geldstrafe fiel deutlich höher aus als das, was die Staatsanwältin gefordert hatte. Diese plädierte darauf, den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit dreifacher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 60 Euro zu verurteilen. Auch die Nebenklagevertretung schloss sich diesem Plädoyer an.

Beide Seiten wollen keine Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen

Die Verteidigerin des 62-jährigen Angeklagten erklärte, dass ein Urteil wegen fahrlässiger Tötung allein schon Strafe genug für ihren Mandanten sei. Sie forderte daher, von einer juristischen Strafe abzusehen. Alle beteiligten Seiten signalisierten, keine Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen zu wollen.

Die Richterin begründete das Urteil damit, dass unter anderem für den Angeklagten zu berücksichtigen sei, dass er nach dem Unfall direkt helfen wollte und sich bei der Familie entschuldigte. Auch die Zahlung einer Art Wiedergutmachung in Höhe von 8000 Euro, die er unabhängig vom Strafmaß der Familie anbot, fiel für den Mann demnach positiv ins Gewicht.

Jedoch wiege der Tod des Mädchens schwer. Kein Geld der Welt könne das wiedergutmachen, so die Richterin. Der Verlust eines Kindes sei das Schlimmste, was Eltern passieren könne. Auch müsse die Familie des Kindes bis ans Lebensende mit dem Geschehenen leben. Zwar habe nicht abschließend die Ursache für den Unfall geklärt werden können. Dennoch habe der Angeklagte ein Versagen an dem Unfalltag gezeigt und dieses sei mit der genannten Geldstrafe zu ahnden.

Vater: "Es ist sehr schwer für uns"

"Ich versuche, meinen Alltag zu meistern, spüre aber ständig eine Leere", übersetzte eine Dolmetscherin für den 39-jährigen Vater aus der Ukraine bei der Verhandlung zuvor. "Es ist sehr schwer für uns", sagte der Vater weiter. Seine Frau kämpfe mit Depressionen.

Der Angeklagte hatte sich während der Verhandlung mehrfach auch direkt an den Vater des Mädchens gewandt und entschuldigt. Verlesen wurde auch ein Brief, den der Mann wenige Monate nach dem Unfall an die Familie geschrieben hatte, in dem er sein Beileid aussprach. Er könne nicht verstehen, wie es zu diesem Unfall kommen konnte, hieß es darin. "Wie gerne würde ich diesen Tag ungeschehen machen."

Eine exakte Erinnerung an den Unfallhergang habe er nicht, hatte der Mann auch bei der Verhandlung erklärt. Die Sonne könne ihn geblendet haben, aber das sei nur eine Annahme. Auch nach Zeugenaussagen und einem vorgelegten Gutachten konnte in der Verhandlung keine eindeutige Unfallursache ermittelt werden. Die Staatsanwältin und die Verteidigerin sprachen in ihren Plädoyers beide von einem Augenblicksversagen.

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